Über das Lesen in der Bibel

Die Bibel, auch Heilige Schrift oder Gottes Wort genannt, enthält viel Schönes und Wertvolles, um dessentwillen ich sie immer wieder gerne aufschlage.


Zum Beispiel die Bergpredigt (Matth. 5, 1-10):

Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg. Nachdem er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Da redete er zu ihnen und begann sie zu unterweisen:

Selig1 sind, die erkennen, wie arm sie vor Gott sind, denn Gottes Herrlichkeit gehört ihnen.
Selig sind die Traurigen, denn Gott wird sie trösten.
Selig sind, die auf Gewalt verzichten2, denn sie werden die ganze Erde besitzen.
Selig sind, die sich nach Gottes Gerechtigkeit sehnen, denn Gott wird ihre Sehnsucht stillen.
Selig sind die Barmherzigen, denn Gott wird auch mit ihnen barmherzig sein.
Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen.
Selig sind, die Frieden stiften3, denn Gott wird sie seine Kinder nennen.
Selig sind, die deshalb verfolgt werden, weil sie Gottes Willen tun. Sie werden mit Gott in seinem Reich leben.

1Traditionelle Wortwahl, rev. Luther-Übers. "Glücklich" im Sinne von "glücklich zu preisen" steht an dieser Stelle in "Hoffnung für alle", woraus auch der übrige Text stammt. - 2 3Luther: "die Sanftmütigen", "die Friedfertigen".

Allgemeine Bemerkung: den damaligen Menschen, zu denen Jesus predigte, war es, im Gegensatz zu vielen von uns Heutigen, oftmals sehr wichtig, wie sie zu Gott stehen, wie Er sie sieht und beurteilt. Mit Ihm nach dem irdischen Leben zusammenzusein, erschien ihnen als ein hohes, erstrebenswertes Ziel. Deshalb war das, was in der Bergpredigt gesagt wird, für sie von großem Wert und gleichzeitig ein starker Ansporn, sich danach zu richten. → eine freie Übertragung der Bergpredigt

Selten: an der Frontseite der Potsdamer Nikolaikirche – Die Seligpreisungen:



Oder das, was im Neuen Testament zusammenfassend über die Liebe steht (1. Kor,13. 1-13, zitiert nach "Hoffnung für alle"):

"Ohne die Liebe bin ich nichts. Selbst wenn ich in allen Sprachen der Welt, ja mit Engelszungen reden könnte, aber keine Liebe hätte, so wären alle meine Worte hohl und leer, ohne jeden Klang, wie dröhnendes Eisen oder ein dumpfer Paukenschlag.
...
Liebe ist geduldig und freundlich. Sie kennt keinen Neid, keine Selbstsucht; sie prahlt nicht und ist nicht überheblich. Liebe ist weder verletzend noch auf sich selbst bedacht, weder reizbar noch nachtragend.
...
Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles und hält allem stand.
...
Als Kind redete, dachte und urteilte ich wie ein Kind. Jetzt bin ich ein Mann und habe das kindliche Wesen abgelegt. Noch ist uns bei aller prophetischen Schau vieles unklar und rätselhaft. Einmal werden wir Gott sehen, wie er ist. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt. Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Liebe aber ist das Größte."

Oder die Apostelgeschichte und die weiteren Briefe des Paulus, um noch einiges mehr zu nennen.

Trotzdem findet man in der Bibel auch Abstoßendes, für uns nicht mehr Akzeptables. Es mindert nicht ihren Wert als Ganzes, sondern spiegelt lediglich bestimmte Schwächen des Menschen wider und zeigt die Begrenztheit, die Zeitgebundenheit menschlichen Denkens und Handelns auf.

Hierzu gehören außer Mord und Totschlag, Verrat und anderen verwerflichen Taten, die es zu allen Zeiten gab und immer noch gibt, auch das makaber-primitive "Brautgeschenk" Davids (1. Sam. 18, 27); hinzu gehört die indirekt lobende Erwähnung der Vernichtung von sieben Völkern im Lande Kanaan "durch Gott" (Paulus; Apg. 13,19) wie auch manches über Haartracht und Kleidung während des Gottesdienstes und die Stellung der Frau in der Gemeinde, das uns heute fremd ist und abgelehnt wird (1. Kor. 11, 1-15; 14, 34-35).

Andererseits stehen im Neuen Testament auch Verhaltensregeln, die heute noch Gültigkeit haben, wie: "Seid nicht hinter dem Geld her!", "Achtet die Ehe, und haltet eurem Ehepartner die Treue!" (Hebr. 13, 5 und 4) oder die Aufforderung an manche Tessalonicher, sich nicht herumzutreiben, sondern einer geregelten Arbeit nachzugehen und für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen (2. Tess. 3, 11). Väter werden ermahnt, ihren Kindern liebevoll zu begegnen, daß sie nicht ängstlich und mutlos (Luther-Übers.: "scheu") werden (Kol. 3,21). Und im Alten Testament findet man bei Sirach 30,9 noch den Erziehungshinweis: "Zärtle mit deinem Kind, so mußt du dich hernach vor ihm fürchten" – ein uraltes Problem, wie es scheint!

Zu den Wundergeschichten, an die man sich als häufiger Bibelleser mehr oder weniger gewöhnt hat, kommt noch ausgesprochen Rätselhaftes hinzu (jedenfalls empfinde ich es so), wie zum Beispiel die Erwähnung eines mythischen Königs Melchidesek (Hebr. 7, 1ff), dessen Leben "gewissermaßen ohne Anfang und Ende war" und der "dem Sohne Gottes gleicht". Was sich hinter diesen Aussagen verbirgt, die nicht weiter ausgeführt werden, ist mir nicht bekannt.

Es ist mir im Grunde auch unwichtig, wie einiges andere, das ich in der Heiligen Schrift ebenfalls nicht verstehe. Die Bibel ist kein Sachbuch, in dem alle mitgeteilten Fakten und Zusammenhänge nach Möglichkeit klar und eindeutig sein sollten. Sie appelliert nicht ausschließlich an den Verstand, sondern vor allem an das Herz des Menschen, an seine Fähigkeit und Bereitschaft, an das Gute zu glauben, auch wenn es nicht direkt sichtbar ist und nicht immer geschieht.

Das Lesen in der Bibel läßt sich, so scheint es mir, mit dem Wandern im Gebirge vergleichen: dort gibt es steile, mühsam zu erkletternde Gipfel und tiefe dunkle Schluchten. Es gibt angenehm zu gehende Bergpfade in großer Höhe mit seltenen Blumen und herrlichen Aussichten wie auch unwegsames Gelände, in dem man nur langsam vorankommt. Die Sonne scheint; es kann stürmen und regnen. Vielleicht ist ein Regenbogen zu sehen. Diejenigen, die an einer solchen "Bergwanderung" teilnehmen und nicht allzu rasch aufgeben, werden, denke ich, durch sie reich belohnt.

Zwei weitere Quellen der Gottesfurcht und Weisheit:
- das Buch Sirach, von den Protestanten nicht als Teil der Bibel anerkannt, in früheren Jahrhunderten jedoch auch von ihnen oft verwendet (Näheres bei Wikipedia);
-  eine Apostellehre aus dem 1. und 2. Jh.: die Didaché (Einleitung hier)

Was man nicht übersehen sollte:
Die Bibel wurde verboten, beschlagnahmt, verbrannt – in christlichen Ländern, über tausend Jahre lang. (Wikipedia)
In unserer Zeit wird gelegentlich von nicht-kirchlicher, privater Seite gefordert, die Bibel zu verbieten. Dabei beruft man sich auf Stellen im Alten Testament, die wegen ihrer Grausamkeit und der vielfachen Mißachtung des Fünften Gebotes auch für mich abstoßend und beunruhigend sind. Die guten Seiten der Heiligen Schrift lassen die Bibelgegner bewußt außeracht, was ihr Anliegen aus angeblichen moralischen Gründen entwertet und unglaubwürdig macht.
Von Staats wegen ist die Bibel in verschiedenen islamischen und kommunistischen Diktaturen verboten, in denen ihr Besitz mit Gefängnis, Arbeitslager, körperlicher Züchtigung und sogar mit dem Tod bestraft wird.

Vater unser
"Des Vaters Liebesbrief"
Ein anderer, provokatorischer Brief mit passender Antwort
Über schwierige Stellen in der Bibel
Über Martin Luther (Internet)
August Herrmann Francke: Kurzer Unterricht ... wie man die Heilige Schrift ... lesen sollte
Ist die Bibel richtig übersetzt?
Veränderter Sinn: a statt e
"Wie zuverlässig wurden Jesu Worte überliefert?" (Untertitel eines vergriffenen, aber noch im Internet lesbaren Buches)
"Die Bibel ist kein wörtliches Diktat Gottes" u. v. a. (Internet, sehr interessant!)
Bibelverse lernen
Aus einem "mathematischen" Adventskalender

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