Das Unbehagen an dem kompliziert klingenden 5. Postulat,
das außer den antiken Griechen auch die Araber empfanden,
die Euklids Schriften in ihre Sprache übersetzten, dauerte
bis in die Neuzeit an. Schon früh wurde gefragt, ob sich
nicht das 5. Postulat mit Hilfe der vier anderen beweisen
läßt. Falls ja, wäre es entbehrlich, und man könnte es
einfach weglassen.
Beweisversuche dieser Art führten zu keinem Erfolg. Noch
im 19. Jhdt. quälte sich der zuletzt genannte ungarische
Mathematiker Farkas (Wolfgang) Bólyai jahrzehntelang damit herum und
schrieb nach dieser langen, frustrierenden Zeit einen
Brief
an seinen Sohn János Bólyai, ebenfalls Mathematiker,
in dem er ihm dringend davon abriet, sich weiter mit
diesem Problem zu beschäftigen. (Das in dem Brief
enthaltene, lange lateinische Zitat – mit kleinem Schreibfehler –
"si paulum ..." bedeutet auf deutsch: "Falls sie" – gemeint ist in diesem Fall
die Dichtkunst – "auch nur
wenig hinter dem Höchsten zurückbleibt, sinkt sie in die
Tiefe hinab" und stammt von Horaz (Ars poetica).)
Bólyai junior folgte nicht dem väterlichen Rat. Er
erkannte die Unbeweisbarkeit des 5. Postulats aus den
vier übrigen und entwickelte 1825 eine Geometrie, die auf
anderen Voraussetzungen beruht. Diese nannte er
"absolute Geometrie". (Anm.: "absolut" heißt auf deutsch
"losgelöst". Interessanter Weise ist auf dieser Internetseite vom XI. Axiom von Euklid die Rede. Gemeint ist aber
das 5. Postulat; offenbar liegt hier eine andere Zählung
und ein anderes Verständnis des Begriffs "Axiom" vor.)
Unabhängig von J. Bólyai und voneinander schufen C. F. Gauß
(1777-1855) und N. I. Lobatschewskij (1792-1856) in den
Jahren 1816 und 1832 die hyperbolische Geometrie,
in der das 5. Postulat von Euklid durch das folgende
ersetzt wird:
"Ist g eine Gerade und P ein nicht auf ihr liegender Punkt,
so gibt es in der durch P, g bestimmten Ebene zwei von P
ausgehende Halbgeraden p1, p2, für die der Winkel w(p1, p2)
kleiner als ein gestreckter ist, die beide g nicht schneiden,
während jede von P innerhalb des Winkels w(p1, p2) ausgehende Halbgerade die Gerade g schneidet." (Quelle: Lexikon der
Mathematik, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1979)
Zur Veranschaulichung der hyperbolischen Geometrie dient
eine sogenannte Pseudosphäre (gr. für "falsche Kugel").
Sie entsteht durch Rotation einer Traktrix (lat. für
"Schleppkurve"), die, für sich interessant, hier auf dem
Matheplaneten von Artur Koehler (pendragon302) ausführlich
behandelt wurde.
Zum Schluß ein Blick auf eine richtige, gewöhnliche Kugel.
Auch auf ihrer Oberfläche kann man Geometrie betreiben.
Wie sieht es bei dieser mit dem 5. Postulat von Euklid aus?
Um das herauszufinden, muß man als erstes feststellen,
welche geometrischen Objekte der Kugeloberfläche den
Geraden der Ebene entsprechen. Hierzu eignet sich die
oben zitierte Geradendefinition Euklids kaum. Ich benutze
deshalb eine viel bekanntere, bei der ich nicht weiß, ob sie
auch von ihm oder jemand anderem stammt:
"Eine Strecke ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte.
Entfernen sich diese voneinander bis ins Unendliche, entsteht
eine Gerade. Diese hat keinen Anfang und kein Ende."
Auf der Oberfläche einer Kugel liegt die kürzeste Verbindung
zwischen zwei Punkten auf einem Großkreis, d. h. einem
Kreis, dessen Mittelpunkt der Kugelmittelpunkt ist. Dies kann
man sich ohne Rechnung mit einem straffgespannten
Gummiband klar machen. Ein ganzer Großkreis (ohne Anfang
und Ende) entspricht einer Geraden der Ebene. Da sich
Großkreise stets schneiden, gibt es in diesem Sinne auf der
Kugeloberfläche keine "Geraden", die zueinander
parallel sind. Euklids fünftes Postulat ist hier nicht erfüllbar;
die Geometrie auf der Kugel wird deshalb, ebenso wie die
hyperbolische, "nicht-euklidisch" genannt.
Hans-Jürgen
(20.7.04)
Nachtrag, 15.11.13:
Dieser Artikel wurde von einem gewissen "Imperatore" in http://de.sci.mathematik.narkive.com/dOHNGEAq/parallelenaxion Wort für Wort ohne Quellenangabe kopiert und als etwas Eigenes ausgegeben. Wenn man mit dem Mauszeiger auf "vor 3 Jahren" geht, wird das Datum dieses Plagiats angezeigt: es war der 29.1.2010.
Re: Über das
'Parallelenaxiom' |
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