Über Sündenvergebung

Als die meisten Menschen noch an Gott oder Götter glaubten, waren, vor allem in der Antike, in den verschiedensten Ländern Opferkulte gang und gäbe. Man opferte, um Gott oder die Götter gnädig zu stimmen, sie um Hilfe zu bitten und ihnen zu danken. Eine besondere Bitte betraf die Vergebung eigener Sünden.

Ein Opfer bedeutet die Hergabe von etwas, das einem wichtig und wertvoll ist. Beim Übergang von der Ackerbau- zur Viehzüchtergesellschaft wurden mehr und mehr Tiere anstelle von Feldfrüchten geopfert. Dieser Umbruch spiegelt sich in der biblischen Geschichte von Kain und Abel wider; für einen der beiden Brüder endete sie tödlich.

Religiöse Kultstätten mit Tieropfern, darunter auch der Jerusalemer Tempel, wurden in Teilen zu regelrechten Schlachthöfen.[1] Wer kein eigenes Vieh hatte, konnte bzw. musste sich ein Opfertier kaufen. Da damals Pilger aus verschiedenen angrenzenden Ländern zum Tempel kamen, hatten sie ihr mitgebrachtes Geld in die dort gültige Währung einzutauschen, und dies taten sie bei den im Tempelbereich anwesenden Geldwechslern. Über sie geriet Jesus in Zorn, stürzte ihre Tische um und verjagte sie, die Käufer und Verkäufer.[2]

Jesus kannte die Bibel, das heißt den Teil, den wir Heutigen das Alte Testament nennen, sehr gut,[3] und so waren ihm sicher auch Äußerungen der Propheten Samuel, Amos, Micha und Hosea [4] vertraut, die sich gegen den Opferkult wandten. Darüber hinaus bezog er Kapitel 53 des Jesaja-Buches[5] mit dem allseits verachteten "Gottesknecht" auf sich. (Die Juden lehnen dies ab und glauben, damit sei das Volk Israel gemeint.)

Beides führte dazu, dass der Heiland durch seinen Kreuzestod sich selber – als Mensch! – Gott zum Opfer brachte: als Sühnopfer zur Vergebung der Sünden aller, die an ihn glauben und dieses Opfer dankbar annehmen.

Hier klingt etwas an, was bei den Juden bis dahin Sitte war: einmal im Jahr "beluden" die Priester einen lebendigen Ziegenbock mit den Sünden des Volkes und trieben ihn in die Wüste, wo er elendiglich verdurstete oder von wilden Tieren gefressen wurde. Das heißt: ein einzelner starb für die Sünden vieler. Jedoch: der "Sündenbock" war ein Tier, Jesus ein Mensch (und mehr). Und der Bock wurde gezwungen – Jesus dagegen handelte freiwillig.

Auch wenn zu Jesu Zeit auf Erden der Opferkult längst zu nutzloser Routine erstarrt war, wäre doch niemand auf die Idee gekommen, dass anstelle von Tieren sich ein Mensch opfern würde, noch dazu, um andere vor der Bestrafung ihrer Sünden durch Gott zu retten. Deshalb war seine Tat für alle, die von ihr erfuhren, neu und unerhört. Als er sie indirekt ankündigte, wurde sie nicht verstanden, auch nicht von seinen Anhängern. Viele, die Jesus bis dahin gefolgt waren, wandten sich von ihm ab. Sogar seine Jünger waren über eine bestimmte Wortwahl in [6] "empört". Als er sie fragte, ob auch sie ihn verlassen wollten, sagten sie nicht: "Meister, wir bleiben bei dir, weil wir dich verstehen und dir glauben", sondern: "Zu wem sollten wir denn gehen?"

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Und wie steht es damit bei mir?
Als die Leiterin eines Bibel-Hauskreises, den ich regelmäßig besuche, mich fragte: "Kannst du das, was Jesus durch seinen Opfertod bewirkte, für dich annehmen?", antwortete ich unbestimmt und ausweichend, nicht mit einem klaren Ja oder Nein. Weiter wollte ich nichts dazu sagen; eine genaue Antwort mit Begründung wäre in dem Moment zu viel geworden. Sie folgt hier.

Über die erhoffte Sündenvergebung als Folge eines Opfers denke ich:

Gott ein Opfer zu bringen bedeutet, etwas von dem zurückzugeben, das Er uns gab und immer noch gibt: unsere Anlagen und Fähigkeiten, Gesundheit, dass wir zu essen haben und in Freiheit leben, materiellen Besitz, das schöne Wetter und tausend andere Dinge und Erscheinungen. Wie soll es möglich sein, Ihm auch nur etwas davon zu geben? Einem reinen Geistwesen, das unbeschreibbar weit über uns steht? Und gilt es nicht schon im normalen Leben als unschicklich, ja ungehörig, jemandem, der uns etwas geschenkt hat, einen Teil davon zurückzuschenken? Wie viel unpassender wäre das gegenüber Gott? – Auch kann es sein, dass Er uns all' das Gute nicht geschenkt, sondern nur geliehen hat. In dem Fall wäre es unsinnig, Ihm etwas von dem Geliehenen zu geben (etwa wie in dem Lied: "Ich geb' dir mein Leben ..."1), denn es gehört Ihm bereits![7]

Ich glaube auch nicht, dass man Gott durch irgendwelche Opfergaben sozusagen "bestechen" kann, um einen Vorteil von ihm zu erhalten (hier: die Vergebung von Sünden). Wenn Gott uns unsere Sünden vergibt, dann tut er es aus Gnade. Dieser Begriff bedeutet unverdiente Wohltat, abseits vom normalen Rechtsweg. Ein Mörder aus Leidenschaft oder Unbeherrschtheit zum Beispiel, der seine Tat bereut, stellt ein Gnadengesuch an seinen Fürsten/König/Staatspräsidenten, nicht hingerichtet oder zu lebenslänglicher Haft verurteilt zu werden. Dieser kann die Bitte erfüllen oder auch nicht; er handelt völlig frei. So ist es nach meiner Meinung auch mit Gott.

Nach christlicher Glaubensüberzeugung erwartet uns nach unserem Tod ein Gericht durch Ihn. Dabei wird geprüft, ob und in wie weit wir Gottes Gebote eingehalten haben. Bei dem Richterspruch geht es darum, ob Er uns in sein Himmlisches Reich aufnimmt oder nicht. Selber hoffe ich auf ersteres, und sei es auf dem Weg der Gnade.

Über diejenigen, die nicht aufgenommen werden, gab es im Laufe der Jahrhunderte und gibt es bis heute verschiedene Meinungen: von grässlichen Höllenqualen[8] bis zum einfachen Verlöschen im Tode.[9]

*

Als Jesus auf Erden wandelte, war er ein Kind der damaligen Zeit. Er fand den vorhandenen Opferkult mit Tieren vor und lehnte ihn ab, wollte ihn durch etwas Anderes ablösen. Doch auch hier gehörte vergossenes Blut mit dazu, denn, so glaubte man, ohne dieses war nach dem Gesetz Vergebung nicht möglich.[10] Wortreich wird in vielen Predigten, die auch im Internet zu finden sind, behauptet, dass das Vergießen von Jesu Blut für uns unbedingt nötig sei (z.B. in [11], letzter Absatz); doch glaube ich es trotzdem nicht. Es ist eine archaische, im wahrsten Sinne "blutige" Lehre, die auch etwas Heidnisches an sich hat. In abgelegenen Volksstämmen wurde und wird vielleicht heute noch geglaubt, dass man durch das Essen getöteter Feinde und das Trinken ihres Blutes deren Kraft, Mut und Geschicklichkeit in sich aufnehmen, quasi erben, könne. So etwas ist nicht nur heidnisch, sondern auch Magie. Es kehrt wieder unter anderem in den Einsetzungsworten zum Abendmahl, die ich nicht wörtlich nehme, sondern symbolisch auffasse.[12] In einem aktuellen, christlichen Artikel wird das Kreuz mit einer "Schlachtbank" verglichen, auf der durch Jesu Blut unsere "Erbsünde abgewaschen" wurde – eine Ausdrucksweise, die es mir zusätzlich schwer macht, die oben genannte Frage meiner Hauskreisleiterin positiv zu beantworten. Das gilt auch für das sehr verbreitete Kirchenlied "O Lamm Gottes, unschuldig ..." (Evangelisches Gesangbuch 190.1) und Sinngemäßes. Ich sehe darin einen gedanklichen Rückfall in die alttestamentarische Opferpraxis mit Tieren.[13]

Der Bibel entnehme ich:

– Jesus vergab anderen ihre Sünden ohne Blutvergießen! (Matthäus9,2, Lukas7,36-48. Anm.: bisweilen im Internet in V.47: "denn sie hat (mir) viel Liebe gezeigt")

–  Er sagte: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt."[14][15]

Über Jesus denke ich, modern ausgedrückt: Er starb für seine Ideale: die Liebe zu Gott und den Menschen.
Dazu noch, speziell: "Freundschaft - bis in den Tod" (evtl. bitte etwas warten)

Jesus litt furchtbar, wobei seine Leiden schon vor der Kreuzigung mit der Auspeitschung und der Dornenkrone begannen. Wenn ich mir das vorstelle, erfasst mich ein tiefes Mitleid mit ihm. Jesu Mut und seine Standhaftigkeit, mit der er alles laut- und nahezu wortlos ertrug, bewundere ich. Und ich liebe ihn von ganzem Herzen.

[1] www.archiv.dreikoenigsgemeinde.de/glaube/philSchmidt_predigt_22.php
[2] www.bibleserver.com/text/LUT/Matthäus21, 12-13
[3] www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas2, 41-47
[4] www.bibleserver.com/text/LUT/1.Samuel15, 22
www.bibleserver.com/text/HFA/Amos5, 21-22
www.bibleserver.com/text/LUT/Micha6, 6-8
www.bibleserver.com/text/LUT/Hosea6, 5
[5] www.bibleserver.com/text/HFA/Jesaja53
[6] www.bibleserver.com/text/HFA/Johannes6, 53-66
[7] Dass Gott keine Schlacht- und Brandopfer braucht, weil Ihm "die ganze Welt gehört", bringen die Verse 8 bis 12 des 50. Psalms zum Ausdruck; auch die folgenden sind von großem Gewicht. Nach ihnen bedeutet richtiges Opfern, Gott zu danken und Ihm gehorsam zu sein.
[8] hjcaspar.de/hpxp/gldateien/hoel.htm
[9] www.bibleserver.com/text/LUT/Prediger9-5-6, 10Am Ende des Lebens nur zu verlöschen, war eines der Ziele Buddhas, s. mehrfach hier. Dieser Gedanke ist Christen fremd; sie glauben an die Auferstehung.
[10] www.bibleserver.com/text/HFA/Hebräer9,-13, 22
[11] www.arche-gemeinde.de/fileadmin/Media/Print/Kanzeldienst/2005/11/P051120M.pdf
[12] hjcaspar.de/hpxp/gldateien/abendm.htm
[13] www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/~lamm~ mit Bildern zur Verehrung des Lammes(!)
[14] https://www.bibleserver.com/EU/Johannes15,-7-17, insbes. 13
[15] mehr dazu

Ergänzung: wie ich erst nach dem Schreiben dieser Seite feststellte, gibt es seit 2015 einen "Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)" mit dem Titel: "Für uns gestorben". Er enthält Ansichten führender evangelischer Kirchenvertreter über die Bedeutung von Jesu Kreuzestod in heutiger Zeit.

EKD, erweitert: www.ekd.de/Fur-uns-gestorben-Fragen-und-Anstosse-485.htm

www.kath.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/nt/09.04.az-e.0.007.pdf
und www.deutschlandfunk.de/gestorben-fuer-unsere-suenden.1148.de.html?dram:article_id=180535.
Auch sie lernte ich erst nach der Abfassung des Vorstehenden kennen.

Und hier noch: "Sündenvergebung in Christus nach dem Glauben der frühen Kirche"

Thomas Gerlach: Entschuldigung
(Anm.: Die betr. Seite gehört zu einer größeren Sammlung ebenso interessanter, erklärender Texte:
Evangelischer Glaube – die Online-Dogmatik, speziell auch Nachträge, darin Sinn und Ist alles relativ?)

1 Nachtrag
Der Satz: "Ich geb' dir mein Leben" kann auch bedeuten, das man sein Leben Gott weiht, d. h. sich darum bemüht, ganz nach Seinem Willen zu leben und Jesus Christus zu folgen: aus Dankbarkeit und Liebe, nicht als Opfer, um dafür etwas zu erlangen oder zu bekommen wie Sündenvergebung und Ewiges Leben.
In der katholischen Kirche gibt es geweihte Jungfrauen, zu denen die von mir bewunderte Dichterin und Latein-Übersetzerin Claudia Sperlich gehört. Was sich hinter ihrem Beschluss und Gelöbnis zu dieser besonderen Lebensweise verbirgt, erklärt sie hier auf ihrem Blog. Und hier schrieb sie, was sicher sehr selten ist, ein "Liebesgedicht an Gott". Es enthält den Gedanken, dass Ihm ihr ganzes Leben gehört.

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