Über Zahlwörter und -zeichen

Wenn man zählt, werden dabei oftmals hörbar oder nur in Gedanken Zahlwörter mitgesprochen, und es werden Zahlzeichen verwendet, um das Gezählte zur bleibenden Erinnerung festzuhalten.

Die hierbei weltweit auftretende Vielfalt entspricht der Vielfalt der Sprachen und Kulturen, und so ist es im Rahmen eines kurzen Artikels nicht möglich, auf sie auch nur annähernd erschöpfend einzugehen. Im folgenden sollen deshalb nur einige Facetten herausgegriffen und näher betrachtet werden.

Ich beginne mit den Zahlzeichen. Die einfachste Art, das Gezählte anschaulich zu machen, ist die Strichliste. Da eine längere Folge senkrechter Striche schnell unübersichtlich wird, werden häufig jeweils vier von ihnen durch einen Schrägstrich miteinander verbunden, so daß leichter zu überblickende Fünferblöcke entstehen. Warum man nicht Vierer- oder Sechserblöcke nimmt, hängt möglicherweise mit den fünf Fingern der Hand zusammen. Dies läßt sich auch bei den Zahlwörtern vermuten, auf die ich später zur sprechen komme.

Die Römer, um als erstes sie zu nennen, machten es anders. Sie markierten die Zahlen eins, zwei, drei mit Ι, Ι Ι, Ι Ι Ι; dann folgte ein Sprung zur Fünf in Form eines V, das man sich durch Zusammenfügen zweier Striche am unteren Ende entstanden denken kann. Für die Vier schrieben sie zwei unterschiedliche Zeichen hintereinander, erst den Einserstrich und dann das V, mit der Maßgabe, daß die Eins von der Fünf abzuziehen sei. Steht die Eins hinter der Fünf, so ist sie zu addieren. Die Zehn hatte bei den Römern das Zeichen X, das aus der Zusammenfügung eines V (oben) und eines umgedrehten V (unten) entstand. Auf dieses X wurde ebenfalls die Subtraktions- und Additionsregel angewandt, so daß z. B. ΙX die Zahl 9 bedeutete,  die 11, XΙΙ  und XΙΙΙ die 12 und 13, weiter XΙV die 14, dagegen XVΙ, XVΙΙ, XVΙΙΙ die 16, 17, 18, während man XΙX  für 19 schrieb. Für 1000 verwendeten die Römer das Zeichen M, den Anfangsbuchstaben ihres Wortes mille. Das M wurde manchmal statt in der geraden, bis heute üblichen Form auch rundlich geschrieben und dann senkrecht halbiert, so daß ein umgedrehtes und ein normales D entstanden. D, sozusagen die Hälfte des Zahlzeichens M, bedeutete 500, während C, der Anfangsbuchstabe von centum, den Wert 100 hatte. Wenn man es eckig schrieb und waagerecht halbierte, ergab der untere Teil das L für 50. Alles war einigermaßen logisch und konsequent, aber sehr unhandlich, vor allem, wenn größere Zahlen miteinander multipliziert werden sollten, was heutzutage bereits Schulkinder können. Wie das gemacht wurde, wird unter anderem auf dieser Seite [1] gezeigt.

Das Vorstehende (bis auf die Möglichkeiten zum Multiplizieren römischer Zahlen) ist den meisten von uns wohlbekannt. Weniger bekannt ist, daß auch die Griechen Buchstaben zur Bezeichnung von Zahlen verwendeten, und das gleich auf mehrfache Weise, s. [2]. Auf der betreffenden Wikipedia-Seite ganz unten ist eine Liste von Völkern angeführt, die dies ebenfalls taten oder bis heute tun.

Hervorheben möchte ich dabei die hebräischen Zahlensymbole. Außer zum Zählen werden sie seit langem für Aussagen verwendet, die religiösen oder ideologischen Inhalt haben. So heißt es etwa in [3]: "Im biblischen Ausdruck «ein Land, das von Milch und Honig fließt», hat das Wort chalaw, das hebräische Wort für Milch, einen Zahlenwert von 8+30+2=40. Dies soll auf die 40 Tage hindeuten, die Mose auf dem Berg Sinai verbrachte." Das Beispiel ist Bestandteil einer spekulativen Zahlenmystik, zu der auch die als Pseudowissenschaft angesehene Numerologie [4] gehört. In neuerer Zeit kamen gewisse sektiererische Gruppen aus dem weitgefächerten, sich "christlich" nennenden Spektrum auf die Idee, anhand einer Stelle in der Johannes-Offenbarung und unter Mißbrauch eines einzelnen hebräischen Buchstaben das Internet als "Teufelswerk" zu diffamieren. Dagegen wende ich mich hier [5].

Wir selber und große Teile der Welt benutzen die zehn Zahlzeichen 0, 1,2,...,9, die wir arabische Ziffern nennen. Dies ist nicht ganz korrekt, denn die Araber verwenden zwar ebenfalls zehn Ziffern, d. h. Symbole für die 0 und die ersten neun natürlichen Zahlen, doch sehen ihre anders als die unsrigen, wie aus dem folgenden Bild zweier Briefmarken der nicht mehr bestehenden Vereinigten Arabischen Republik (UAR) hervorgeht:

Die arabische 5 sieht wie unsere 0 aus, und die Null ist ein Punkt. Eine Übersicht über alle "arabischen" Ziffern, die besser "indisch-arabische" (und oft auch nur "indische") genannt werden, findet man in regionalen Variationen hier [6].

Bei den mit den Ziffern 0 bis 9 geschriebenen Zahlen wird erst die Zehn (und nicht, wie bei den Römern bereits die Vier) durch zwei Symbole dargestellt: 10, und man schreibt weiter für 10⋅10  100, für 10⋅100  1000 usw. Die Schreibweise 3504 ist eine Abkürzung von 3⋅1000+5⋅100+0⋅10+4 oder, in Potenzschreibweise 3⋅103+5⋅102+0⋅101+4⋅100. Die 10, sagt man, bildet die Basis unseres Zahlensystems, das auch Dezimal- oder Zehnersystem genannt wird. Obwohl es große praktische Vorteile hat, setzte es sich in Europa sehr langsam durch, erst ab Mitte des 15. Jahrhunderts nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg. Die römischen Zahlzeichen hielten sich parallel dazu noch lange und werden bis heute gelegentlich verwendet, allerdings meist nur zu dekorativen Zwecken, z. B. auf Zifferblättern von Uhren. Erwähnt sei noch, daß die zu den indisch-arabischen Ziffern gehörende 0 nur sehr zögerlich angenommen wurde. Die Römer kannten sie nicht, und Gerolamo Cardano (1501-1576), Arzt, Philosoph und bis heute berühmter Mathematiker und Erfinder (Cardanische Formel und Aufhängung, Kardanwelle), kam ohne sie aus. Dies und weiteres über ihn s. hier [7].

Das Zehnersystem ist nicht das einzige bekannt gewordene Zahlensystem. Die Babylonier (ab 3. Jahrtausend v. Chr.) verwendeten ein Sechzigersystem (Hexagesimalsystem), und beim Computer kommen Systeme auf der Basis 2 und 16 zur Anwendung (Dual- oder Binärsystem; Hexadezimalsystem). Reste des babylonischen Systems, das davon Gebrauch machte, daß die 60 viele Teiler hat, findet man heute noch bei der Einteilung der Stunde in Minuten und Sekunden sowie von Winkeln in Grade und ebenfalls Minuten und Sekunden. (Ein Nachteil des 60er-Systems war, daß man sich sehr viele Ziffern merken mußte - alles komplizierte Keilschriftzeichen - , während es beim Dezimalsystem nur zehn sind.)
Anmerkung: im 2er-System gibt es nur die Ziffern 0 und 1. In diesem System ist es bereits die 2, die mit zwei Ziffern dargestellt wird. Deshalb ist für Informatiker die Gleichung 1+1=10 richtig, für andere dagegen falsch. (Scherzhaft, aber nicht unsinnig: "Es gibt 10 Gruppen von Menschen: die, die den Binärcode verstehen und die, die ihn nicht verstehen.")
 
Soviel zu den Zahlzeichen. Ich komme nun zu den Zahlwörtern und hierbei noch einmal besonders auf die Fünf zurück. In einer langen Kette von Völkern, die von Europa bis weit nach Asien hineinreicht, ähneln sich die Wörter für sie auffällig. In Indien heißt fünf "pansch"; Pansch Foron ist eine auch im Westen bekannte, indische Mischung aus fünf Gewürzen. Die Afghanen sagen zur Fünf etwas, das mir wie "pentsch" klang. Dies hörte ich aus einer mir sonst unverständlichen Rede mit schriftlicher deutscher Übersetzung bei der Aufzählung der Themenpunkte 1 bis 5 heraus. Die antiken Griechen sagten "pente", und die modernen sagen "pende". Bei den Polen heißt fünf "pięć" (mit Nasallaut), die Russen sagen "pjatj " und die Dänen "fem". Weitere Beispiele kann man der für Kinder gedachten Internetseite [8] entnehmen. Bei anderen Zahlwörtern sind die Ähnlichkeiten über große geographische Distanzen geringer oder gar nicht vorhanden.

Das Doppelte der Fünf ist die Zehn und entspricht den Fingern beider Hände. Nimmt man die Zehen mit hinzu , hat man zwanzig. So ist es vielleicht kein Wunder, wenn es außer dem Zehnersystem zeitweise auch ein Zwanzigersystem gab, das seine sprachlichen Wurzeln bis heute erkennen läßt. In Frankreich sagt man für 80 "quatre-vingt(s)", d. h. viermal zwanzig (oder vier Zwanziger); vingt von lat. viginti=zwanzig. Dort spielt aber auch noch ein altes Zwölfersystem mit hinein, denn 92 heißt "quatre-vingt-douze", was mit viermal zwanzig plus zwölf übersetzt werden kann.

Und ein solches System hatten wir - beim Sprechen - offenbar selber. Wir zählen " ..., acht, neun, zehn, elf, zwölf", haben also für die nächsten beiden Zahlen nach der Zehn eigene Zahlwörter, so daß es erst dann mit dreizehn, vierzehn, ... im Zehnersystem weitergeht. Die Franzosen sagen "onze" für elf und, wie erwähnt, "douze" für zwölf (da steckt unser Dutzend drin), womit sie dem Lateinischen, von dem das Französische zum großen Teil abstammt, nicht folgen. Die Römer sagten 11=undecim, 12=duodecim, 13=tredecim usw. (decim ist eine Abwandlung von decem=zehn), und die Italiener gehen im Gegensatz zu den Franzosen mit ihrem undici, dodici usw. wie im Lateinischen vor.

Verwirrend erscheint Ausländern die Sprechweise der Dänen bei den Zahlwörtern für die vollen Zehner. "Treds" heißt nicht etwa dreißig (von tre=drei), sondern sechzig, und "firs" nicht vierzig (von fire=vier), sondern achtzig. Fünfzig, gewissermaßen auf dem halben Wege von der Vierzig zur Sechzig, heißt "halvtreds"; zwei weitere Zahlwörter mit "halv" sind die für siebzig und neunzig. Mehr Einzelheiten dazu und Erklärungen findet man auf dieser Webseite [9]. Sie enthält den Hinweis, daß im interskandinavischen Geldverkehr die Zahlwörter femti, seksti, syvti, ... Verwendung finden, die sonst in Dänemark nicht üblich sind.

Damit möchte ich es genug sein lassen. Über Zahlwörter und -zeichen in aller Welt, ihre Zusammenhänge und Unterschiede, ihre Geschichte und sprachlich-psychologischen Hintergründe berichtet sehr ausführlich das bewundernswerte Buch von Karl Menninger: "Zahlwort und Ziffer" [10]. Ich hatte es früher eine Zeit lang zur Hand und erinnere mich, wenn auch nur bruchstückhaft, dankbar daran.

Nachtrag
Mit einer der vorstehend genannten Zahlschreibweisen ergab sich auf dem Matheplaneten dies:
Erstaunt sprach ein Mann aus Trier: „Die Hälfte von 9 ist ja 4, und die Hälfte von 13 ist 8.“ – was hat er sich dabei gedacht?
Auch gilt mit einer anderen: die Hälfte von 15 ist 3, und ein Drittel von 42 ist 2. Dies folgt ohne Qual, schreibt man Zahlen dual.

[1] Römische Zahlen
[2] Griechische Zahlen
[3] Gematrie
[4] Numerologie
[5] Das Internet und der Teufel
[6] Indische Ziffern
[7] Cardano
[8] Blinde Kuh, Sprachen
[9] Danish Numbers
[10] Menninger, Zahlwort und Ziffer

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