Über Kräfte

Qualitativ und noch recht allgemein gesagt: Kräfte beschleunigen (auch mit Richtungsänderung) oder verzögern; sie verformen, halten fest, werden nutzbringend eingesetzt oder können Schaden anrichten, zerstören, ... Um eine quantitative Formulierung wurde jahrhundertelang gerungen, und auch in unserer Zeit sind manche noch immer damit beschäftigt, auf philosophischer Seite wie im Lehrbetrieb.

In der Mechanik, um mit ihr zu beginnen, unterscheidet man grob zwei Teilgebiete: die Kinematik, d. h. reine Bewegungslehre, bei der Kräfte noch keine Rolle spielen, und die Dynamik vom griechischen Wort dýnamis für Kraft.

Ein klassisches kinematisches Problem ist die Fallbewegung. Bei ihr werden im Vakuum, so dass keine Verzögerung durch Luftreibung stattfindet, alle Körper, gleich stark beschleunigt, egal, wie schwer sie sind. Dies ergibt sich aus Fallversuchen, die näherungsweise auch in Luft ausgeführt werden mit Körpern, zum Beispiel Steinen, nicht zu kleinen eisernen Kugeln u. dgl., welche nur sehr wenig durch Luftwiderstand abgebremst werden. Lässt man einen solchen Körper eine Strecke s fallen und misst die dafür benötigte Zeit t , dann ergibt sich, dass s nicht proportional zu t, sondern zu t² ansteigt:
s = k t², wobei k eine Konstante bedeutet. Solche Versuche lassen sich in heutiger Zeit leicht mit der Stoppuhr durchführen. Galilei, von dem berichtet wird, dass er Fallversuche von verschiedenen Stockwerken des Schiefen Turms von Pisa machte, hatte nur im Vergleich dazu sehr ungenaue Sanduhren zur Verfügung; deshalb verlangsamte er die Fallbewegung, indem er Kugeln auf schwach geneigten Rinnen hinabrollen ließ. Der Effekt, die quadratische Abhängigkeit der zurückgelegten "Fall"strecke von der dafür benötigten Zeit, blieb derselbe.

Nun wollte man aber weiter wissen, wie schnell sich die Körper beim Freien Fall bewegen. Dies wurde möglich, nachdem Newton und Leibniz unabhängig voneinander die Differential- und Integralrechnung erfunden hatten. Durch sie wird die Geschwindigkeit als Differentialquotient (oder "Ableitung") der Fallstrecke s nach der Zeit definiert: v = 2k t, und durch nochmaliges Ableiten erhält man die Beschleunigung a = 2k, unabhängig von der Schwere des fallenden Körpers. Statt 2k schreibt man gewöhnlich g, und diese Größe, Fall- oder Erdbeschleunigung genannt, hat gerundet den Wert 9,81 m/s². Mit ihr gilt s = g t²/2.

In der Dynamik untersucht man, wie stark ein Körper der Masse m von einer beliebigen Kraft F beschleunigt wird und nicht nur von seiner Gewichtskraft, die häufig einfach nur Gewicht genannt wird. Hierfür eignet sich folgende Versuchsapparatur, die auch im Schulunterricht gebräuchlich ist:



Auf einer waagerecht aufgebauten Fahrbahn steht ein kleiner Wagen mit möglichst reibungsfrei gelagerten Rädern. An ihm ist ein dünner Faden befestigt, der über eine Rolle läuft und zu einer (im Idealfall masselosen), dünnen Platte führt, auf die man verschiedene Gewichtsstücke legen kann. Sie liefern die Antriebskraft F für den zu beschleunigenden Wagen. Auch dieser kann mit verschiedenen Gewichtsstücken beladen werden.

Die Messungen gehen so vor sich, dass man beim Loslassen des Wagens die Stoppuhr startet, und sie, wenn der Wagen eine bestimmte Strecke s gefahren ist, wieder anhält. Aus zusammengehörigen Messwerten t und s berechnet man jeweils die Beschleunigung a nach der obigen Formel für s (mit a statt g) zu a = 2s/t².

Dabei stellt sich heraus, dass die Beschleunigung a proportional zur antreibenden Kraft F und umgekehrt proportional zur Masse m des Wagens mit seinen Zusatzgewichten ist: a∼F/m, oder anders geschrieben: F∼m·a.

Von Weiterem hängt F nicht ab; deshalb ersetzt man die Proportionalität durch eine Gleichung und definiert:
F = m·a, in Worten: Kraft gleich Masse mal Beschleunigung.

Diese Beziehung wird "Grundgleichung der Mechanik" genannt und oft in Verbindung mit Newton gebracht, was nicht ganz korrekt ist. Er ging vom Produkt m·v von Masse und Geschwindigkeit aus, das er (in deutscher Übersetzung aus dem Lateinischen) "Bewegungsgröße" nannte, wofür heutzutage meistens das Wort "Impuls" verwendet wird. Newton definierte die Kraft als die Ableitung des Impulses nach der Zeit. In seiner Notation und unter Berücksichtiging der Produktregel der Differentialrechnung bedeutet das: F = (mv). = m v. + v m. = m·a + v m.. Der zweite Summand berücksichtigt die Möglichkeit, dass der Körper, während er sich unter dem Einfluss der Kraft bewegt, seine Masse verändert. Die einfachere Grundgleichung
F = m·a (in dieser Form zuerst 1750 von Leonhard Euler formuliert) ist ein - allerdings sehr häufiger - Sonderfall der Newtonschen Kraftdefinition; bei ihm bleibt die Masse des Körpers während des Beschleunigungsvorgangs konstant.

Davon abgesehen, ist die Grundgleichung nicht unproblematisch. Was bedeutet in ihr genau m, die Masse? Sie gehört zu den physikalischen Größen, die, vom Logischen her, nicht ordentlich definiert sind. (Eine andere ist die Zeit, über die seit Jahrtausenden ohne greifbaren Erfolg nachgegrübelt wird, was zu mehreren verschiedenen Antworten führte.) Für die Masse gibt es zwar die Maßeinheit kg, die durch einen speziellen Metallkörper, das "Urkilogramm", repräsentiert wird, aber keinen eigentlichen, erklärenden Begriff. Es reicht nicht aus, zu sagen, man erhalte die Masse eines Körpers, indem man sein Gewicht G durch die Erdbeschleunigung g dividiert, denn G ist selber eine Kraft, für die ebenfalls die Grundgleichung gilt. Hier scheint ein verborgener Zirkelschluss vorzuliegen.

Heinrich Hertz, der Entdecker der elektromagnetischen Wellen, entwickelte eine Mechanik ganz ohne den Kraftbegriff, vgl. z. B. hier. Dort wird auch kurz ein Unterrichtsversuch für die gymnasiale Oberstufe erwähnt, bei dem der Kraftbegriff durch das Wort "Impulsstrom" ersetzt wurde. Beides, sowohl Hertz' Verzicht auf die Kraft wie auch jener Versuch ("KPK"), fanden keine allgemeine Verbreitung.

Kräfte begegnen uns überall und haben zum Teil geheimnisvolle Eigenschaften. Unser ganzes Leben (wenn wir nicht gerade Mitglieder eines Raumschiffes sind) unterliegen wir der Schwerkraft. Ein anderer Name dafür ist Gravitation (von lat. gravis=schwer). Er bezeichnet die Tatsache, dass sich alle Körper gegenseitig anziehen. Quantitativ wird das durch das ebenfalls von Newton entdeckte und auf die Planetenbewegung angewendete Gravitationsgesetz zum Ausdruck gebracht. Da die Gravitationskraft durch den leeren Raum über beliebig große Distanzen wirkt, spricht bei ihr von einer "Fernkraft". Diese sollte sich, nahm man an, instantan, d. h. mit unendlich großer Geschwindigkeit, ausbreiten. – Durch den leeren Raum hindurch wirken auch die Kräfte elektrisch geladener Körper. Zu ihrer Beschreibung wird oft der Begriff "Kraftfeld" verwendet. Ein solches ist ein Raumbereich mit besonderen Eigenschaften, zu denen auch magnetische gehören. Elektromagnetische Kraftfelder breiten sich mit sehr hoher, aber endlicher Geschwindigkeit aus; im Vakuum ist das die Lichtgeschwindigkeit mit ca. 300000 km/s. Den Feldbegriff und die Annahme einer endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit übertrug man - lange nach Newton - auch auf die Gravitation.

Es gibt positive und negative elektrische Ladungen und zwischen ihnen anziehende wie abstoßende Kräfte. Elektronen, die Träger der (negativen) Elementarladung, üben zusätzlich, wenn sie sich bewegen, eine Kraft auf andere Elektronen aus, falls diese sich ebenfalls bewegen. Benannt wurde diese Kraft nach dem niederländischen Physiker Hendrik Antoon Lorentz (1853-1928). Anwendung findet sie unter anderem in elektrischen Generatoren und Motoren und wird auch bei diesem einfachen Versuch sichtbar: zwei dicht nebeneinander parallel gespannte, stromdurchflossene Drähte ziehen sich gegenseitig an, wenn die Ströme in ihnen dieselbe Richtung haben. Dies geschieht auch, wenn beide Ströme gleich stark sind, was einigermaßen erstaunlich ist. Die Elektronen bewegen sich in diesem Fall in beiden Drähten gleich schnell (gemeint ist ihre Driftgeschwindigkeit), d. h. relativ zueinander gar nicht, sondern nur in Bezug auf die Umgebung. Bewegte elektrische Ladungen erzeugen Magnetfelder. Bewegt sich ein geladenes Teilchen durch ein bereits vorhandenes Magnetfeld, so ergibt sich aus diesem und der Geschwindigkeit des Teilchens die Lorentzkraft.

Sie hat kein eigenes Kraftfeld und ist nicht die einzige, die mit einem Personennamen verbunden wurde. Neben ihr gibt es noch die Van-der-Waals-Kraft zwischen bestimmten Atomen und Molekülen (beschrieben und begründet vor ca. 140 Jahren), die Casimirkraft (vorausgesagt und nachgewiesen im 20. Jhdt.), die im Hochvakuum zwei eng benachbarte, elektrisch leitende (nicht geladene) Platten zusammendrückt, sowie die Corioliskraft. Letztere, nach einem französischen Mathematiker und Physiker des 18./19. Jahrhunderts benannt, gehört wie die Fliehkraft bei Kurvenfahrten zu den sogenannten Scheinkräften und tritt in rotierenden Bezugssystemen auf. Im Großen ist sie bei ausgedehnten Wolkenfeldern zu beobachten, die sich um den Kern von Hoch- und Tiefdruckgebieten drehen, aber auch beim Kettenkarussel, wenn man bei ihm während der Fahrt mit den Beinen schlenkert.

Im Bereich der Moleküle und Atome gibt es eine Modellvorstellung in Bezug auf Kräfte, die mit den herkömmlichen Begriffen Fern- oder Feldkraft nichts zu tun hat und ohne sie auskommt: die Idee der Austauschkraft. Nach ihr sind zwei atomare Teilchen dadurch miteinander verbunden, dass sie ständig andere Teilchen in rascher Folge austauschen, ähnlich zwei Personen, die sich ununterbrochen gegenseitig einen Ball zuwerfen. Im Unterschied dazu sind die atomaren Austauschteilchen nicht ständig vorhanden, sondern entstehen erst beim Austauschprozess selbst; manche von ihnen sind nur virtuell, d. h. vorgestellt. (Bei "virtuell" muss ich öfter daran denken, dass Vieles in der Physik nur vorgestellt, erdacht ist und in Wirklichkeit ganz anders sein kann. Nicht wenige dieser Vorstellungen wurden im Laufe der Zeit verfeinert oder sonstwie modifiziert oder ganz verworfen.)

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