Die Physik bedient sich außer der Mathematik, die ein machtvolles Werkzeug zur Gewinnung von Erkenntnissen ist, einer ausgeprägten Bildersprache. Sie redet von Teilchen, Wellen und Feldern, von Wirbeln (Maxwell, vgl. [1]) und in neuerer Zeit von "Strings", ein Wort, das an die Saiten eines Musikinstruments erinnern soll.
Die Zeit "verfließt", und der Raum dehnt sich in Analogie zu einem Ballon aus, der immer stärker aufgeblasen wird.
Die Natur macht keine "Sprünge" - oder sie tut es doch.
Es gibt "Schwarze Löcher", "Wurmlöcher" und "aufgerollte" Dimensionen. Gedacht wird an einen "Quantenschaum", an dünne "Röhrchen", die schon, in anderem Zusammenhang, bei den Überlegungen Faradays eine Rolle spielten, und an "aufgeschnittene Gummis" [3].
So nützlich solche, dem normalen Leben entnommenen, anschaulichen Begriffe für die Erklärung zum Teil sehr diffiziler physikalischer Erscheinungen und Gegebenheiten sein mögen, so schwierig und unzureichend können sie im Einzelfall sein. Ein Beispiel hierfür finden wir beim Licht. Je nachdem, wie mit ihm experimentiert wird, zeigt es sich uns als Wellenerscheinung oder Teilchenstrahlung. Beides zugleich kann es nicht sein; dagegen sträuben sich Anschauung und logischer Verstand. Also kommt nur etwas Drittes in Frage, für das wir keinen Begriff haben. Hier wird eine der Grenzen sichtbar, die uns beim Erkennen der Welt (oder der "Natur", wie manche sagen) gesetzt sind. Wenn wir sie akzeptieren und als Folge unserer eigenen Unvollkommenheit ansehen, stellt das Licht, meine ich, kein wirkliches Problem dar. Sein eigentümlicher Doppelcharakter kann uns sogar hilfreich sein, indem wir uns stärker auf uns selbst besinnen: darauf, was wir eigentlich sind und was wir unter günstigsten Umständen vielleicht erreichen können.
Unangenehmer ist die Situation, nach meinem Dafürhalten, bei der Zeit. Wenn man sagt, sie vergehe, dann hört sich das so an, als verschwinde sie, als sei sie (plötzlich) nicht mehr da. Sagt man dagegen, sie fließe, dann bedeutet dies einen Vergleich mit einem materiellen Medium, etwa dem Inhalt einer Sanduhr oder dem Fließen von Wasser in einem Fluß. Diese anschaulichen Bilder werden ja oft gebraucht. Nun bewegen sich materielle Körper sowohl im Raume wie in der Zeit. Was aber soll man dann über die Zeit selber sagen? Daß sie sich ebenfalls im Raum bewegt, klingt nicht sehr plausibel, und wenn gesagt würde, daß sie sich ebenfalls in der Zeit bewege, müßte man dann nicht an eine weitere Zeit, an eine Art "Überzeit", denken, für die dasselbe Problem bestünde?
Obwohl die Zeit eine ganz fundamentale Größe zur Beschreibung physikalischer Vorgänge ist, gibt es keine allgemein anerkannte Definition für sie. Versuche, zu ihr zu kommen, reichen von der Feststellung "Zeit ist, was eine Uhr anzeigt" bis hin zu der Behauptung, sie sei lediglich ein Produkt unserer Anschauung oder unseres Geistes, und es gebe sie in Wirklichkeit gar nicht. Auf diesem, ich möchte sagen: unsoliden Fundament, ruht ein Großteil auch der heutigen Forschung!
Hierbei wird - und das kann man auch auf dem MP nachlesen - sogar teilweise davon ausgegangen, daß die Zeit unmittelbar nach dem immer noch hypothetischen "Urknall" still stand und erst langsam schneller wurde. Was das angesichts des soeben Geschriebenen bedeuten soll, ist mir schleierhaft. Eine Geschwindigkeit der Zeit kann es m. E. nicht geben.
Auch wird behauptet, daß die Zeit erst im Moment des "Urknalls" entstanden sei (zusammen mit dem Raum), und daß sie davor nicht existierte. Fragen wie: was vor diesem Ereignis war, und warum es plötzlich "knallte", werden manchmal als unwissenschaftlich und daher unzulässig abgetan. Hier deutet sich ein Denkverbot an, das an gewisse Phasen der Religions- und Kirchengeschichte erinnert.
Um noch kurz bei diesem Thema zu bleiben: Woher das (nahezu) punktförmige "kosmische Ei" kam, das die gesamte Materie des Universums (wohl in Form reiner Energie) in sich enthielt, ob es immer da war, ob es von jemandem geschaffen wurde oder von selbst aus dem Nichts entstand, ist völlig ungeklärt und in meinen Augen eine der großen Schwächen der durch formales Rückwärtsrechnen entstandenen "Urknall"-Theorie.
Spätestens an dieser Stelle ist man als nachdenklicher Mensch zu einer ganz persönlichen Entscheidung herausgefordert, die auch tatsächlich wahrgenommen wird: die materialistische Auffassung entscheidet sich dafür, daß die Materie und ihre Gesetze immer da waren und durch nichts geschaffen wurden. Religiös empfindende Menschen behaupten das Gegenteil. Sie gehen von einer Schöpfung und einem Schöpfer aus. Und hier auf dem MP kann man in einem anderen als dem oben erwähnten Thread lesen, daß jemand keine Schwierigkeiten damit hat, sich vorzustellen, daß etwas aus dem Nichts entsteht. In der modernen Physik werden Teilchen mit dieser Eigenschaft in Betracht gezogen; sie heißen "virtuell" [4]. (Alternativvorschläge zur Entstehung des Universums aus dem Nichts sind hier zusammengestellt [5].)
Das Weltbild gläubiger Menschen ist nicht auf Analyse angelegt. Wenn er überhaupt davon erfährt, wird jemand, der an Gott glaubt, im allgemeinen nicht besonders von dem berührt sein, was 10–43 Sekunden nach dem "Urknall" passierte (darüber wird tatsächlich spekuliert mit scheinbar haargenauen Angaben); und auch was danach geschehen sein soll, interessiert ihn meist nur am Rande. Vor allem die ersten und die letzten Dinge erscheinen ihm unerforschlich, und damit gibt er sich zufrieden. Auch anderes birgt für Gläubige Geheimnisvolles, in das sie nicht einzudringen wünschen. Sie glauben an Wunder und haben oftmals damit keine Probleme. (Was ich selber über Wunder denke, habe ich hier aufgeschrieben [6].)
Der Glaube hat seine eigenen Bilder und Sprachfiguren. Manche, wie der Begriff des Lichtes, werden im direkten Sinne (z. B. in der Schöpfungsgeschichte) oder in übertragener, geistlich-theologischer Bedeutung verwendet. Andere, zum Teil Tausende von Jahren alt und auf dem Wissensstand und den Erfahrungen weit zurückliegender Generationen beruhend, hält man heutzutage nicht mehr buchstabengetreu für wahr, begegnet ihnen aber trotzdem mit Respekt. Sie besitzen metaphorischen Charakter wie übrigens auch manches in der Wissenschaft. Die Glaubensvorstellungen religiöser Menschen umfassen vor allem auch Ethisches, was Naturwissenschaften wie der Physik fehlt. Sie sind geeignet, Dankbarkeit sowie Hoffnung auch in schwierigen, vielleicht sogar lebensbedrohenden Situationen zu erzeugen, ebenso weitere positive Gefühle und Einstellungen. Sie können zu innerem Frieden und zum besseren Auskommen mit anderen Menschen beitragen.
Glauben und naturwissenschaftliches Denken schließen sich in bestimmten Bereichen, aber nicht vollständig gegenseitig aus. Georges Lemaître, der Begründer der "Urknall"-Theorie, war Priester. Newton, Planck, Einstein*), Heisenberg, um nur sie zu nennen, glaubten an Gott.
*)
Anm. zu Einstein: Im Internet wird des öfteren darüber diskutiert, ob E. an Gott glaubte oder nicht. Hier einer von mehreren Beiträgen zu diesem Thema: http://www.spektrum.de/magazin/einstein-und-die-religion/823427
An den Artikel schloss sich eine ungewöhnlich lange Diskussion an, in der ich zum Teil scharf kritisiert, aber auch verteidigt wurde. Wer möchte, kann sie sich hier auf dem "Matheplaneten" ansehen.
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