Simson - eine anfechtbar interpretierte Bibelgeschichte

Simson war ein Mann mit ungeheurer Körperkraft im Lande Israel. Auf geheimnisvolle Weise steckte sie in seinen langen Locken; mit ihnen war er unbesiegbar. Von Simson erzählt das biblische Buch Richter. Auschnitte davon bildeten den Predigttext eines fremden Pastors, der unseren eigenen vertrat.

Die Simson-Geschichte beginnt im Kapitel 13 mit der Feststellung, daß das Volk Israel zum wiederholten Male das tat, "was Gott mißfiel", und deshalb vierzig Jahre lang von den Philistern1 unterdrückt wurde. Berichtet wird als erstes über einen Mann namens Manoach und seine Frau, deren Name nicht genannt wird. Diese bekam keine Kinder, doch erschien eines Tages ein Engel bei ihr, der ankündigte, sie werde einen Sohn gebären. Sie dürfe, so der Engel, während der Schwangerschaft nichts Alkoholisches trinken, und der zu erwartende Sohn sei schon im Mutterleib bis an sein Lebensende Gott geweiht. Ihm dürften niemals die Haare geschnitten werden.

Simson, so nannten sie ihn, wollte, als er erwachsen war, eine Philisterin heiraten. Auf dem Wege zu ihr und ihren Eltern entdeckte er die ihm von Gott verliehene, ungewöhnliche Kraft: ein Löwe trat ihm entgegen, den Simson mit bloßen Händen tötete und in Stücke riß. Einige Tage später ging er wieder denselben Weg, fand im Kadaver des zerrissenen Löwen einen Bienenschwarm mit einer Honigwabe. Er nahm sie heraus, aß selber etwas von dem Honig und brachte den Rest seinen Eltern, ohne dessen Herkunft zu erwähnen.

Wiederum bei den Philistern, stellte er diesen ein Rätsel, das sich auf den toten Löwen und den in ihm gefundenen Honig bezog, ohne das dies ausdrücklich erwähnt wurde. Es war eine Preisfrage: bei ihr ging es um dreißig neue Gewänder. Die Philister konnten das Rätsel nicht lösen, bedrohten Simsons Braut, so daß diese ihrem Bräutigam die richtige Antwort abluchste und ihren Stammesgenossen verriet. Da wurde Simson, wie die Bibel schreibt, "vom Geist des Herrn ergriffen", erschlug in einem Nachbarort dreißig von ihnen und brachte deren Gewänder denen, die das Rätsel "gelöst" hatten. Seine Frau bekam er nicht; die Philister gaben sie dem Brautführer. Daraufhin setzte Simson die Kornfelder, Weinberge und Olivengärten der Philister in Brand, worauf diese ihrerseits die Braut zusammen mit ihrem Vater verbrannten. Im weiteren Verlauf wird geschildert, daß Simson mit einem Esels-Kinnbacken, wiederum "vom Geist des Herrn ergriffen", tausend Philister erschlug. Danach bekam er großen Durst und betete zu Gott: "Ich habe für dich gekämpft ... Aber jetzt muß ich verdursten ...", und auf der Stelle ließ Gott aus der Erde frisches Wasser für ihn zum Trinken hervorsprudeln.

Eine Weile später verliebte sich Simson in eine Frau namens Delia. Die Führer der Philister bestachen sie mit Geld, daß sie herausbekommen sollte, woher Simson seine Kraft habe. Nach einigen vergeblichen Versuchen (und weil er endlich seine Ruhe vor den Szenen haben wollte, die Delia ihm täglich machte), nannte er ihr sein Geheimnis. Als er schlief, schnitt sie ihm die Haare ab, die Philister fielen über ihn her und stachen ihm die Augen aus. Im Gefängnis mußte er für sie die Getreidemühle drehen.

Nach und nach begann sein Haar wieder zu wachsen. Bei einem Siegesfest über ihn in einer großen Halle, bei dem einige tausend Menschen versammelt waren, holten sie ihn, um ihn zu verhöhnen; dabei sangen sie Dankeslieder zu ihrem Gott Dagon. Den Jungen, der den blinden Simson führte, bat er, ihn für einen Moment loszulassen, so daß er nach den beiden Hauptsäulen, die das Dach trugen, tasten konnte. Dann betete er zu Gott, dieser möge ihm nur noch einmal seine frühere Kraft zurückgeben, damit er sich für das Ausstechen der Augen rächen könne. Sein Gebet wurde erhöht. Simson stemmte sich gegen die beiden Säulen und riß sie um. Das Dach stürzte ein und begrub ihn und alle Anwesenden unter sich. So tötete er mehr Philister als in seinem ganzen Leben zuvor, schreibt die Bibel; man darf vermuten: nicht ohne Stolz und Anerkennung, auch wenn es nicht dasteht.

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Wie der Pastor in seiner Predigt die hier in Kürze wiedergegebene Handlung kommentierte und interpretierte, habe ich zu Hause aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Sinngemäß, zum Teil wörtlich sagte er unter anderem:

1. Gott macht Verheißungen, stellt aber dafür auch Bedingungen. Sie müssen von den Menschen eingehalten werden; andernfalls erfüllt auch Gott seine Zusagen nicht.
2. Simson hatte nicht die Kraft aus sich selbst heraus, sondern durch den Heiligen Geist.
3. Er war Gott geweiht und sollte keinen Alkohol trinken. Dies hat er aber bei der Vorbereitung seiner Hochzeitsfeier doch getan, sogar eine ganze Woche lang.
4. Er berührte einen Leichnam – den des Löwen, in dem sich die Bienen mit ihrem Honig festgesetzt hatten –, was gläubigen Juden verboten ist.
All' das führte nach und nach dazu, daß der Heilige Geist ihn verließ.
5. Daß die Philister ihm die Augen ausstachen, kann für uns Heutige damit in Verbindung gebracht werden, daß die meisten keine geistliche Perspektive oder Vision mehr haben, daß sie geistlich blind sind.
6. Daß sie ihm Ketten anlegten, ist vergleichbar mit überholten Formen und Traditionen, die viele der heutigen christlichen Gemeinden in ihrem Glaubensleben fesseln und behindern.
7. Wir sollen nach außen für unseren Glauben kämpferisch wie Simson eintreten.

Dazu sei angemerkt:
zu 1: Über Gottes Verheißungen denke ich dies, und im Internet las ich, daß Gott keine Bedingungen stellt, s. z. B. a href="http://www.keine-tricks-nur-jesus.de/2015-10/bedingungslose-liebe.html">hier.
zu 3: Das Verbot, Alkohol zu trinken, galt für Simsons Mutter, nicht für ihn, jedenfalls nicht ausdrücklich. Daß er "harte Sachen" trank, wie der Pastor sagte, steht nirgends in der Schrift;
zu 4: Als David noch nicht König war, berührte er nicht nur die toten Körper von ihm erschlagener Feinde, sondern er schnitt ihnen anschließend auch noch die Vorhaut ab und brachte sie als Brautgeschenk zu König Saul (1. Samuel 18,24-27). Trotzdem passierte ihm wegen dieser Leichenfledderei von Seiten Gottes nichts;
zu 7: Simson behauptete zwar (und war vielleicht subjektiv dieser Ansicht), er würde für Gott kämpfen, aber das erscheint mir zweifelhaft. Das Rätsel, das er den Philistern bei seiner Brautwerbung aufgab und zum Tod von dreißig der ihren führte, stellte er aus freien Stücken; es war eine eigensüchtige Provokation, die nichts mit Gott zu tun hatte. In seinen letzten Sekunden bat er Gott um Hilfe, damit dieser es ihm ermögliche, privat Rache zu üben. – Daß die Bibel den Tod der (wie es in Vers 15,18 heißt:) "unbeschnittenen Heiden" in so großer Zahl billigend hinnimmt, einschließlich des kleinen Jungen, der Simson half, seinen Plan auszuführen; daß auch der predigende Pastor kein Wort des Bedauerns darüber äußerte, stimmt mich zusätzlich befremdlich.

Es ist das alte Denken in Begriffen wie "Heiden", "Ungläubige", "Feinde des Glaubens" usw., das bis heute in verschiedenen Teilen der Welt wie vor Tausenden von Jahren eine unheilvolle Rolle spielt. Einen solchen "Kampf" im Sinne von Simson kann und will ich nicht mitmachen. Ich denke dabei vielmehr an Jesus und Sein Gebot: "Liebet eure Feinde! Tut wohl denen, die euch fluchen!"

Durch Ihn sind wir heute viel weiter als die Juden des Alten Testaments; doch gab es auch solche Menschen, die sich Christen nannten, aber genauso engstirnig dachten und mörderisch handelten wie sie.

Im 18. Kapitel des Richter-Buches wird beschrieben, wie der hebräische Stamm Dan ein friedliches, nichtahnendes und hilfloses Volk, die Lajiter, überfiel, alle Einwohner umbrachte und ihre Stadt niederbrannte2

Diese Stelle, in der es um "Landnahme" geht (was für ein verharmlosender Ausdruck!), ist nicht die einzige in der Bibel. Andere sind ganz entsprechend: Machtgewinn und -erhalt, Völkermord an Männern, Frauen und Kindern (nur das Vieh wird manchmal geschont und dient als Beute oder zu Dankopfern) werden mit dem Wirken Gottes verbunden – welch ein Mißbrauch des Schöpfernamens!

Und kein Pastor, den ich bisher erlebte, nimmt Anstoß daran! Keiner wagt es, Kritik an dem zu üben, das nach jahrtausendealter Überlieferung als Gottes Wort gilt!

Dieses Verhalten könnte man nach meiner Auffassung viel eher als "geistige Blindheit" bezeichnen – aber wer tut das? Das Festhalten an archaischen, durch Tradition "geheiligten" Texten mit oftmals unmenschlichen, um nicht zu sagen: ungöttlichen Inhalten: stellt es nicht die schlimmste Fessel beim Verstehen und Weitergeben unseres Glaubens dar? Sie sind es, die, zusammen mit offensichtlichen, unleugbaren Widersprüchen und Ungereimtheiten in der Bibel den Atheisten ständig Nahrung und Munition bei ihren Angriffen auf unseren Glauben liefern. Hinzu kommen einzelne märchenhafte, orientalischer Erzähl- und Zuhörfreude entsprungene Kapitel, die jedoch nicht wie Mythen, sondern als tatsächliche, historische Begebenheiten behandelt werden. Mit ihnen konnte man bis vor noch nicht langer Zeit wenig gebildete, oftmals des Lesens unkundige Menschen beeindrucken, aber das gelingt nicht bei den Heutigen, die sich selbstbewußt darüber erhaben dünken und einen bestenfalls bedauern, wenn man daran glaubt.

Hierüber bin ich ratlos und manchmal auch traurig.

Ergänzung: Unter der Rubrik "Gottes tolle Typen" - eine Ausdrucksweise, die nicht zur Bibel, sondern eher zum Stil einer Boulevard-Zeitung paßt - heißt es auf einer Internetseite der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland):
"... Der Zorn eskaliert, und Simson verprügelt die Philister derart, dass es selbst seinen Stammesgenossen unheimlich wird. Sie fesseln ihn und übergeben ihn den Besatzern, doch er zerreißt die Stricke wie Fäden und erschlägt mit dem Backenknochen eines Esels gleich 1000 Mann. Ein Krieger will auch seinen Spaß."
Diese, von mir kursiv hervorgehobene Bemerkung ist nicht nur überflüssig; ich empfinde sie auch als zynisch. Massenhaft Menschen umzubringen, hat nichts Spaßiges an sich, sondern ist ein schweres Verbrechen. Es verstößt nicht nur gegen das Fünfte Gebot, sondern auch gegen 1Mos9,6: "Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht." Wenn, wie im vorliegenden Fall, von kirchlicher Seite flapsig darüber geschrieben wird, verstärkt das meine Abneigung gegen den gewöhnlich anzutreffenden Umgang mit den Grausamkeiten in der Bibel.
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1 Über dieses, weitgehend geheimnisvolle Volk kann man hier einiges bei Wikipedia lesen.
2 andere, zum Teil ausführlichere Übersetzung mit etwas verändertem Akzent: "Die besiegten sie in blutigem Kampf und steckten die Stadt in Brand": http://richter18.textbibel.de
Einheitsübersetzung: "Sie erschlugen die Leute mit scharfem Schwert und steckten die Stadt in Brand."
Was die Daniter mit den Einwohnern von Lajisch machten, wird hier ganz weggelassen, V. 27-28.

Fortsetzung: Wie es Simson mit seinen Haaren im einzelnen erging, und was sonst noch geschah

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