Wiedergabe von:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article110304961/Ueber-den-Irrglauben-an-die-goettliche-Kraft.html
ohne die lästige Werbung

Über den Irrglauben an die "göttliche Kraft"  Veröffentlicht am 27.10.2012
Von Matthias Kamann, Politikredakteur, Lesedauer: 10 Minuten



Der evangelische Theologe Stephan Schaede kritisiert, dass in seiner Kirche immer mehr die zentrale Botschaft verdunkelt wird: Gott muss als Person mit einer Biografie gedacht werden.

Fünf Jahre sind es noch bis zum großen Jubiläum der Protestanten: 2017 jährt sich zum 500. Mal der Beginn der Reformation durch die Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen gegen den kirchlichen Ablasshandel im Jahr 1517. Doch das Reformationsjubiläum bereitet den Evangelischen Schwierigkeiten. Nicht nur weil sie nicht recht wissen, wie sie Luthers Kernbotschaft von der Rechtfertigung des sündigen Menschen durch die göttliche Gnade den Bürgern nahebringen sollen in einer Zeit, in der zumal die ostdeutschen Kernregionen des Protestantismus immer mehr entkirchlichen. Vielmehr fällt es auch vielen evangelischen Christen selbst schwer, offen und im Einklang mit der biblischen Überlieferung von Gott zu reden.

Die Welt: Herr Schaede, in Europa und besonders in Ostdeutschland schwindet der Glaube an den persönlichen Gott der Juden und Christen. Verschwindet die Religion?

Stephan Schaede: Religiosität ist nicht daran gebunden, dass man an einen persönlichen Gott glaubt. Religiosität zeigt sich bei vielen Menschen heute etwa auch dadurch, dass sie an eine höhere unpersönliche Kraft oder Energie glauben.

Diese Vorstellung von Gott als einer bloßen Kraft hat auch in Teilen der evangelischen Zunft in Kirche und Theologie Furore gemacht. Das aber halte ich für falsch. Mehr noch: Ich finde es irreführend. Selbst eine kritische Auseinandersetzung mit der biblischen Erzähltradition kommt nicht darum herum, dass Gott als eine Person mit einer Biografie zu denken ist.

Die Welt: Warum tun sich damit so viele Menschen so schwer?

Schaede: Die Leute denken, es sei eine naive anthropomorphe Projektion, sich analog zur Personalität der Menschen auch Gott als Person vorzustellen. Ich halte dagegen: Es ist mindest ebenso naiv, es ist eine naturalistisch naive Projektion, sich aus angeblich aufgeklärten oder populären Gründen Gott in Analogie zu einer physikalischen Kraft oder Energien vorzustellen. Gott personal zu denken beruht hingegen auf einer Art notwendigen, aber klugen Anthropomorphismus

Die Welt: Wird Gott nicht trivialisiert, wenn er eine Person sein soll?

Schaede: Nein, ganz im Gegenteil. Personen sind im Vergleich zu bloßen Kräften oder Energien viel komplexer. Personen entwickeln sich lebensbiografisch, sie haben im Unterschied zu bloßen Kräften die Fähigkeit, etwas zu erleben. Sie haben Mitgefühl.

Sie können vergeben und versprechen. Sie stehen in einem dialogischen Verhältnis zu anderen und zu sich selbst: Eine Person kann sich auch auf sich selbst ansprechen, sich korrigieren. Schon deshalb wäre es ein großer Verlust an Komplexität im Gottesbild, wenn wir uns Gott als Kraft statt als Person denken würden. Wobei im Übrigen ja die protestantischen Kraft-Theologen ungewollt zugeben, dass es ohne personale Vorstellung nicht geht.

Wenn sie von der liebenden oder segnenden Kraft sprechen, benutzen sie Adjektive, die nur im Zusammenhang mit Personen funktionieren. Einzig und allein eine Person kann segnen oder lieben. Liebe ist, wie der Philosoph Leibnitz einmal schön gesagt hat, die Fähigkeit, sich an der Freude der anderen zu freuen. Dazu ist ein Kraftfeld beim besten Willen nicht in der Lage.

Die Welt: Warum aber erzählen Protestanten so wenig von diesem personalen Gott?

Schaede: Ein Grund dafür ist die weit verbreitete Meinung, dass für die Verkündigung entscheidend sei, was angeblich bei den sogenannten normalen Leuten ankommt. In der Meinung, die Leute würden mit dem personalen Gott nichts mehr anfangen können, erzählt man lieber gleich gar nichts mehr von ihm. Das Fatale daran ist: Auch das führt zu einer unguten Klerikalisierung des evangelischen Pfarramts.

Die Welt: Warum?

Schaede: Wenn die vermeintliche Volksreligiosität mit Gott als Kraft zum Maß aller Verkündigungsdinge wird, dann tut man so, als gebe es einerseits diesen populären Glauben und andererseits eine separate Theologenkaste, die als Gralshüter der Tradition für die akademische Vorstellung von Gott als Person zuständig sei. Die Gemeinde aber stehe dazu auf Distanz. Diese Unterscheidung zwischen Laien- und Theologenglaube ist unevangelisch. Wir Protestanten trennen nicht zwischen dem Glauben der Laien und dem der Pfarrerinnen und Pfarrer.

Die Welt: Aber viele Geistliche folgen doch selbst der Kraft-Vorstellung, etwa wenn sie in Gottesdiensten immerzu alle segnen, die nur den Weg in die Kirche gefunden haben. Dieses inflationäre Segnen findet sich in der Bibel nicht beim personalen Gott, der ja keineswegs so ungehemmt alle segnet.

Schaede: Ihre Beschreibung ist zutreffend, widerspricht aber nicht der These von der Klerikalisierung. Denn mit jenen allzu vielen Segensgesten inszenieren sich Pfarrerinnen und Pfarrer als Mystagogen und kompensieren damit ihren pastoraltheologischen Relevanzverlust in den Gemeinden, so nach dem Motto: Wenn schon der liebe Gott nur eine Kraft ist, dann muss ich als geistliche Person so richtig Persönlichkeit zeigen.

Ich finde es eine wichtige Testfrage für Geistliche: Wenn das Segnen und Handauflegen zur Hauptsache wird, mache ich es dann nicht zu einer mein Pfarramt mystifizierenden Ersatzhandlung, weil ich meinem Verkündigungsauftrag nicht mehr recht traue oder nicht so richtig weiß, was ich verkündigen soll, oder denke, die Leute glauben sowieso nicht so ganz, was ich verkündige?

Die Welt: Also endlich wieder von diesem persönlichen Gott erzählen?

Schaede: Ich habe den Eindruck, in den Kirchen herrscht in Bezug auf Gott ein erhebliches Mitteilungsdefizit. Es lohnt sich die Biografie Gottes, die die Bibel entfaltet, viel stärker auszuplaudern. Wie er sich verändert hat, welche Erfahrungen er mit den Menschen macht, wie er darauf reagiert - und dann kann die Frage folgen: Ist es sinnvoll, der Vorstellung von Gott ad zu sagen?

Ich hätte gar keine Probleme damit, das Personkonzept aufzugeben, wenn sich das von Gott Erzählte anders besser fassen ließe. Bislang aber finde ich keine bessere Kategorie. Natürlich ist Person ein Bild, aber wir Menschen können gar nicht anders, als in der Religion in Bildern zu denken und zu sprechen. Das Bild Person erschließt an Gott Züge, die wir sonst nicht erkennen würden.

Die Welt: Welche Züge sind das?

Schaede: Zum Beispiel, dass wir Gott ansprechen können, im Gebet. Ansprechen kann ich nur eine Person, ein Gegenüber, die komplexe Gestalt hat. Derzeit wird Gott in Gebeten zu wenig gefragt. Ich höre immer nur lange Listen, wie wir Menschen uns fühlen, wo wir herkommen und hinwollen, was bei uns schief gegangen ist. Gottes Charakter bleibt da völlig konturlos. Gott wird auch nicht auf sich selbst angesprochen und nur selten an seine Verheißungen erinnert. Das geht bis in die Adjektive, etwa guter Gott.

Da wird so getan, als gäbe es in unserem Verhältnis zu Gott keine Krisen. Warum sollen wir im Gottesdienst nicht mit ihm schimpfen? Dass hier etwas verloren gegangen ist, zeigt sich bis hinein in die Bioethik, wo beide Kirchen nicht zugeben können, dass Krankheit und Tod schreckliche Zerstörungen sind, die man nicht durch die Rede vom guten Gott beschönigen kann.

Die Welt: Wie soll ich denn an einen Gott glauben, der das Böse zulässt?

Schaede: Auf die Theodizee-Frage gibt es keine Antwort. Sie ist aber eben auch nicht beantwortet, indem ich Gott entweder als abstrakte Kraft fasse oder aber ihm umstandslos das Gute zuspreche. Ich kann Gott in der Theodizee nur ernst nehmen, indem ich Rückfragen an ihn richte. Meine Fragenliste an Gott ist lang. Ich riskiere gern, ihm im Jüngsten Gericht mit dieser Liste auf den Wecker zu gehen.

Das heißt übrigens auch, dass mein Glaube bescheiden sein muss. Ich kann nicht beanspruchen, durch den Glauben die Grundwidersprüche des Lebens aufzulösen, sondern muss mich damit begnügen, der unverfügbaren Person Gottes Fragen zu stellen, dies aber beherzt.

Die Welt: Was bedeutet in Bezug auf Gott eigentlich Person ?

Schaede: Person zu sein heißt konkret zu sein, relativ selbstständig und vernünftig. Bei Menschen gibt es das in unendlich großer Zahl, bei Gott gibt es Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gott existiert in Relationen, in Beziehungen: Innerhalb der Trinität und gegenüber den Menschen.

Der Unterschied zwischen Gott und den Menschen ist der, dass Gott sich als Person selbst setzt, während der Mensch mit der Geburt sein natürliches Potenzial, eine Person zu sein, vorfindet. Wir können uns zunächst einmal nicht aussuchen, ob wir mit anderen Personen Kontakt haben wollen. Gott schon. Er ist nicht darauf angewiesen.

Die Welt: Wieso? Er will ja mit uns in Kontakt treten, und das kann doch nur bedeuten, dass er sehr wohl auf die Beziehung mit uns angewiesen ist.

Schaede: Er hat aber die Freiheit, dieses Angewiesensein zu wählen. Er hätte es nicht machen müssen. Indem er sich aber den Weg gewählt hat, mit Lust und Liebe extrovertiert zu sein, ist er darauf angewiesen, sich anderen Personen zu zeigen, uns.

Die Welt: Gewinnt er durch die Beziehung zu den Menschen etwas, das er für sich selbst nicht hat?

Schaede: Es gibt das Psalm-Wort Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, / keiner, der hinunterfährt in die Stille; / aber wir loben den Herrn . Insofern hat Gott etwas davon, dass wir leben.

Die Welt: Klingt fast wie eine ultimative Aufforderung: Lass uns gefälligst leben!

Schaede: Ja: Sorge dafür, dass wir überleben, dass wir ewig leben. Wo einmal mehr deutlich wird, dass wir Gott als Person auf sich selbst ansprechen können. Wir können sagen: Du hast dir die Personalität gewählt, und die zeigt sich in Beziehungen. Also bitten wir dich so zu handeln, das wir dir als Beziehungspartner erhalten bleiben. Aber Gott hat von seiner Personalität noch weitere Vorteile.

Die Welt: Nämlich?

Schaede: Jede Person, das wissen wir Menschen genau, hat etwas Verborgenes und Unverfügbares. Personen sind nicht einfach vorhanden wie ein Stein oder eine Kaktee. Sie können in Freiheit ganz gegenwärtig sein. Sie können sich aber in Freiheit zurückziehen und sich ihre eigenen anderen entzogenen Gedanken machen. Über diese Freiheit verfügt auch Gott als Person.

Zudem hat eine Person ganz anders als eine Kraft ein Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und Zukunft. Eine Kraft erinnert sich an nichts. Und sie hat auch nichts vor. Dass Gott uns Heilszusagen macht und Zukunftsentwürfe unterbreitet, ist nur beim Glauben an einen persönlichen Gott vorstellbar. Alle entscheidenden Ansagen des Neuen Testaments darüber, was Gott mit uns vorhat vergeben, versöhnen, richten, neues Leben gestalten , sind Dynamiken, die nur personal vorstellbar sind.

Die Welt: Aber bei diesen Erlösungszusagen scheint Gott doch mit meiner jetzigen Personalität als Mensch ein Problem zu haben.

Schaede: Nein, er verspricht vielmehr, meine Person zu steigern. Er macht die Zusage eines neuen, eines erweiternden Entwurfs, wobei das Besondere ist, dass ich als Christin und Christ einsehen kann, dass ich diese erweiterte Person bereits bin, ich bin die mehr oder weniger dürftige endliche Person hier und jetzt und zugleich die Person im Entwurf der Erlösung. Genau dies zeigt sich an Jesus Christus.

Einerseits lehrt er uns, wie sehr Gott Person ist, Gott wird Mensch, andererseits hält Jesus unserer Personalität den Spiegel vor: Wir erkennen an ihm, dass wir scheitern und sterben und zugleich Hoffnung haben, dass Gott uns bereits eine neue erweiterte Personalität verliehen hat.

Die Welt: Dieses Versprechen einer Steigerung meiner selbst scheint der These zu widersprechen, im Glauben gehe es um die Überwindung des modernen Individualismus.

Schaede: Zwar lässt sich manches gegen bestimmte Entwürfe des Individualismus einwenden, aber man kann nicht sagen, dass das Individuum überwunden werden soll. Als Christ steigere ich die Art meines Lebens ja noch, und zwar in einem Beziehungsgeflecht mit Gott genau wie wir uns als Menschen nur in Beziehungen mit anderen Personen entfalten können.

Die Welt: Die Aussicht auf jene Steigerung der Person in der Zukunft widerspricht der These, in der Religion gehe es vor allem um Beheimatung, Tradition, Vergangenheit.

Schaede: Gute Theologen müssen gegen die Vorstellung von der retrospektiven Beheimatung im Glauben protestieren. Die Dynamik des Christentums impliziert, dass wir hienieden nicht allzu sehr beheimatet sein dürfen, sondern nach vorn unterwegs sind. Der Begriff der Beheimatung in der Kirche ist eher skurril.

Die Welt: Wie ist es mit den viel zitierten "Werten" ?

Schaede: Auch da drohen Missverständnisse, gerade wegen des Konzepts der Person, die ja plastisch und konkret ist. Es geht um mich als Person, nicht um Abstraktionen. Es geht auch nicht um die Gerechtigkeit, sondern um die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und danach, ob er mir als Person gerecht wird. Werte haben religiös viel zu wenig Lebenskraft.

Zurück zur Vorseite