Kriege, so zeigten die
Darstellungen in den Büchern, wurden nicht nur um Frauen
geführt. Auch um besseres oder größeres Land ging es dabei, um
Macht und Reichtum, um die Gewinnung rechtloser, billiger
menschlicher Arbeitskräfte, die man Sklaven nannte, und die bei
den Feldzügen wie Schätze und andere Güter erbeutet und weggeschleppt
wurden.
Wie aber war es nun zu den
Zerstörungen gekommen, denen die fremden Besucher überall
begegneten?
Das Ergebnis der Katastrophe
betrachteten die Raumfahrer ohne große innere Bewegung und mehr
mit einem kühlen, wissenschaftlichen Interesse. So verhielten
sich auch die Menschen, wenn sie mit scheinbar unter ihnen
stehenden Tieren oder anderen Organismen experimentierten und
diese dabei gezielt oder leichtfertig quälten, beschädigten und
töteten.
Gegenüber den Menschen empfanden
die Außerirdischen wenig Mitleid. Sie glaubten, dass diese an
ihrer eigenen geistig-moralischen Schwäche und Unvollkommenheit
zugrunde gegangen waren. Nach den erhalten gebliebenen
Aufzeichnungen zu urteilen, musste es
früher oder später so kommen.
Aus den Ruinen
Die klimatischen Bedingungen auf
dem neu entdeckten Planeten erschienen nicht ungünstig: weder
herrschte an seiner Oberfläche, wie bei einem der
Nachbarplaneten, die Temperatur des schmelzenden Bleis, noch
umgab ihn ein dicker Eispanzer. Der größte Teil war von
flüssigem Wasser bedeckt. Der Planet hatte eine Atmosphäre
mittleren Drucks, die einen nicht gleich zerquetschte und
anscheinend aus ungiftigen Gasen bestand. Allerdings zeigte sich,
nachdem ein Teil der Mannschaft für eine erste Erkundung das
Raumschiff verlassen hatte, dass die Luft schwach radioaktiv war.
Dies störte die Besucher aus dem All nicht, denn sie waren
dagegen immun, doch war es eine interessante Erscheinung,
die sie sonst noch nirgendwo angetroffen hatten.
Am Boden wuchsen wenige niedrige
Pflanzen; meist war er völlig öde und kahl. Lebewesen, die sich
zu Lande, im Wasser oder in der Luft bewegen konnten, waren nicht
zu entdecken. Das Tageslicht wirkte seltsam zerstreut, der
Himmel war einheitlich grau, nicht blau; es gab keine Wolken.
Die Neuankömmlinge inspizierten
nicht nur die eine Stelle, an der sie zuerst gelandet waren,
sondern flogen mit ihrem Schiff an zahlreiche andere Orte. Dabei
stießen sie eines Tages doch auf Spuren von Leben, besser
gesagt: auf vermutliche Reste davon. Aus dem Sand ragten Stein-
und Metallteile, die unmöglich natürlichen Ursprungs sein
konnten. Schweres Gerät musste heran, und die Fremden begannen
mit Ausgrabungen. Arbeitsgruppen für die verschiedensten
Sachgebiete, von der Biologie bis zur Sprachwissenschaft,
wurden gebildet; ein ausgedehntes Forschungsprogramm stand ihnen
bevor.
Alles, was sich an der
Oberfläche des Planeten oder dicht darunter befand, war
ebenfalls radioaktiv, vom selben Grade wie die Luft; die
Strahlung verringerte sich mit zunehmender Tiefe. Es strahlten
auch die Skelette von Wirbeltieren, die die Forscher als
erstes fanden. Diese waren nicht viel größer als sie selbst.
Der Tod musste die Tiere sehr plötzlich ereilt haben, denn viele
Skelette, oder was davon noch übrig war, lagen mitten auf den
Straßen zwischen den Trümmern, die einst wohl Behausungen
gewesen waren.
Bei diesen Behausungen handelte
es sich um keine einfachen Höhlen; das konnte man immer noch gut
an ihnen feststellen. Vielmehr hatten die meisten
definierte geometrische Formen, als sie noch nicht zerstört
waren; dabei wurden Quader, Prismen und Pyramiden offenbar
bevorzugt. Auch die Straßen verliefen ursprünglich glatt und
gerade. Alles ließ einen planenden Geist und große technische
Fähigkeiten erkennen. An den Straßenrändern fand man
gelegentlich zusammengeschmolzene Klumpen von Metall,
nicht-natürlichen Materialien aus Kohlenwasserstoffen und Glas;
sie mochten von Fahrzeugen oder anderen Transportmitteln stammen
und wurden ebenfalls sorgfältig untersucht.
Diese Schmelzklumpen sowie
Brandspuren, die überall zu sehen waren, deuteten darauf hin,
dass die Gegend, in der die ersten Ausgrabungen stattfanden,
zumindest zeitweise sehr hohen Temperaturen ausgesetzt war. Worin
die Ursache dieser Katastrophe bestand, und wie lange das Ganze
gedauert hatte, blieb vorerst unklar.
In das Innere der ehemaligen
Häuser zu gelangen, war nicht einfach; die meisten bestanden nur
noch aus Schutthaufen. Einerseits musste man, um Zeit zu sparen,
zügig vorangehen, andererseits genügend feinfühlig, um
nicht noch mehr zu zerstören, als schon zerstört war.
Umso aufschlussreicher war die
Ausbeute. Jeder Tag brachte Neues, Überraschendes. Langsam
festigte sich das Bild, das sich die Fremden von den getöteten
Tieren machten, deren Skelette ihre Aufmerksamkeit gleich
zu Anfang erregt hatten.
Die unbekannten, früheren
Bewohner der Gegend beherrschten nicht nur die Baukunst,
einschließlich des Straßenbaus, sondern auch die Elektrizität.
Überall stießen die Ausgräber auf elektrisch leitende
Verbindungen zwischen den Gebäuden, und in den Wohnungen selbst
fanden sich Überbleibsel von Geräten, die durchaus elektrischer
Natur gewesen sein konnten. Einige waren, soweit noch zu
erkennen, in ihrem inneren Aufbau ziemlich kompliziert und
trotzdem sehr verbreitet. Und immer gab es in der
unmittelbaren Umgebung dieser Geräte auch Spuren von Glas.
Eines Tages gelang den Forschern
ein wichtiger, bedeutsamer Fund. In einem tiefgelegenen Keller,
zu dem die starke Hitzewelle nicht vorgedrungen war, entdeckten
sie noch intakte Geräte der genannten Art; jedenfalls vermuteten
sie es auf Grund bestehender Ähnlichkeiten mit den Resten in den
Wohnungen. Für das Ingenieurteam des Raumschiffs war es eine
reizvolle Aufgabe, den Zweck und die Funktion dieser Geräte zu
ergründen.
Eigentlich waren es zwei Arten
von Geräten, die in dem Keller gefunden wurden und allem
Anschein nach zusammenwirkten. Das eine besaß, wie schon durch
die Funde in den zertrümmerten und verbrannten Häusern
nahegelegt wurde, einen Sichtschirm aus Glas, während in das
andere eine Spule aus sehr dünner, aufgewickelter Folie gesteckt
werden konnte. Auf dieser war eine geheimnisvolle Botschaft in
magnetischer Schrift aufgezeichnet, und es gelang den Ingenieuren
nach einer Reihe von Versuchen herauszufinden, was sie
bedeutete.
An der Bekanntgabe der mit
großer Spannung erwarteten Ergebnisse nahm die gesamte
Mannschaft teil. Die gespeicherten Informationen stellten keinen
Text, sondern Bilder dar, bewegliche, farbige Bilder. Dazu gab es
Töne: Sprache und von Zeit zu Zeit Musik. Nun wusste man, was
das für Tiere waren, die früher hier gelebt hatten; man sah
sie, wenn auch nur als Abbild, leibhaftig vor sich. Ihr
anatomischer Bau war derselbe wie bei den radioaktiven Skeletten
zwischen den Ruinen. Sie bewegten sich aufrecht auf zwei
Beinen.
Jetzt ging es darum, mehr über
sie zu erfahren. Dazu musste vor allem ihre Sprache verstanden
werden. Dies war eines der mühevollsten Details in dem ganzen
Projekt. Sprachforscher, Informatiker und Kryptologen, Mitglieder
der Raumschiffbesatzung, die auf ihrem Heimatplaneten als
Amateure mit dem Theater zu tun hatten, Lehrer und andere, an dem
Problem Interessierte bissen sich an ihm fast die Zähne aus.
Aber es gelang, zumindest
ansatzweise. Bei weiteren Grabungen wurden noch mehr Bildspulen
gefunden (und auch mehr Abspielgeräte), so dass schließlich
eine große Menge an Forschungsmaterial zusammenkam. Einige
Aufzeichnungen hatten offenbar Ausbildungscharakter und wandten
sich, wie man unschwer an den Größenverhältnissen erkennen
konnte, an die Jungtiere des Planeten. Bestimmte Gegenstände und
Tätigkeiten wurden dabei, in eindrucksvoller Weise durch Gesten
unterstützt, mit Worten benannt; die Bedeutung anderer Teile der
unbekannten Sprache ließ sich aus dem szenischen
Zusammenhang der jeweiligen Spielhandlung erschließen. Dennoch
blieb vieles unverständlich.
Alle gefundenen Aufzeichnungen,
nicht nur diejenigen zur Belehrung und Erziehung der Jungtiere,
waren ursprünglich von zentralen Orten aus durch die Luft oder
spezielle elektrische Leitungen in die einzelnen Häuser des
Planeten übertragen worden, deren Bewohnern sie begierig
aufnahmen. Vieles diente zur Unterhaltung, doch gab es auch
anderes.
So trafen zum Beispiel die
erwachsenen Tiere häufig zu Sitzungen zusammen, in denen nur
gesprochen wurde, ohne dass sonst etwas dabei passierte. Die
Teilnehmer redeten, wie noch einigermaßen leicht herauszufinden
war, über gesellschaftliche, politische Probleme, die sich auf
zu anderer Zeit in den reinen Informationssendungen berichtete,
konkrete Ereignisse bezogen. Diese wurden in den Gesprächsrunden
gedanklich vertieft, wobei die Betreffenden sich nicht immer
einig zu sein schienen und sich öfter sogar stritten. Immer
wieder fielen in solchen Sendungen Wörter mit abstrakter
Bedeutung, die sich die Fremden vom anderen Stern nur
schlecht oder gar nicht erklären konnten. Hinzu kam, dass
manche dieser Wörter, je nach dem Zusammenhang, in dem sie
gebraucht wurden, eine unterschiedliche Bedeutung zu haben
schienen. Insgesamt war es dadurch nicht leicht, die Sprache der
so plötzlich ums Leben gekommenen Tiere vollständig zu
enträtseln.
Hier half schließlich etwas
anderes weiter. Man fand, in feuerfesten Metallbehältern
eingeschlossen, dünne Blätter aus einem feinfaserigen, weißen
Material, die, teils einzeln, teils in Stapeln miteinander
verbunden, über und über mit Zeichen bedeckt waren. Das weiße
Material, so war den Bildsendungen für die Jungtiere zu
entnehmen, nannte man Papier, die aus ihm hergestellten
Blattbündel Bücher. Die Zeichen hießen Buchstaben und
Zahlen.
Die Bücher, nicht selten auch
einzelne Papiere, enthielten Bilder, mit deren Hilfe die
Bedeutung der Buchstaben und Zahlzeichen bestimmt werden konnte.
Damit war es schließlich möglich, die unbekannte Sprache von
Grund auf zu verstehen und sich geschichtlichen Beschreibungen
sowie naturwissenschaftlich-technischen, philosophischen und
religiösen Abhandlungen zu widmen, von denen zum Glück ein
beträchtlicher Teil die rätselhafte Katastrophe
überstanden hatte. Es hing jetzt nur noch vom
Interesse und Einsatz des einzelnen ab, wie weit er sich in
die Lebens- und Denkweise der untergegangenen Rasse vertiefte.
Auch derjenige unter den
Raumfahrern, der sich wenig damit beschäftigte, konnte erkennen,
dass die ehemaligen Bewohner des Planeten sich selbst nicht als
Tiere betrachteten, sondern als eine höher entwickelte Spezies,
die allen anderen, die gleichzeitig mit ihnen dort lebten,
überlegen sein sollte. Diese Spezies nannten sie
"Menschen". Die meisten Besatzungsmitglieder schlossen
sich diesem Sprachgebrauch an und nannten die Verstorbenen,
nachdem sie das herausgefunden hatten, ebenfalls nicht mehr
"Tiere". Manche allerdings nahmen daran Anstoß, dass
die Menschen, von Ausnahmen abgesehen, sich nicht nur als die
höchsten Wesen auf ihrem Planeten, sondern im ganzen Weltall
ansahen, und spotteten darüber.
Sie, die Raumfahrer, hatten auf
ihren Streifzügen sehr viel höher entwickelte Rassen und
Kulturen kennengelernt, als sie hier vorfanden; außerdem
besaßen sie auch einen gewissen eigenen Stolz.
Die Menschen hatten von Lebewesen
außerhalb ihres Planeten, den sie "Erde" nannten,
keine Ahnung. Diese spielten lediglich in phantasievollen
Erzählungen und Romanen eine Rolle. Nur wenige waren davon
überzeugt, dass es neben ihnen auch noch
"Außerirdische" gab.
Die Menschen existierten in zwei
Ausführungen, die sich geschlechtlich vermehrten, wenn sie das
entsprechende Alter erreicht hatten: Männer und Frauen. Das war
bereits, ohne dass man ihre Sprache verstand, deutlich an den
aufgefundenen Bildaufzeichnungen zu erkennen. Ein nicht
unerheblicher Teil davon beschäftigte sich mit diesem
Unterschied und seinen Begleiterscheinungen. Die Sendungen, die
offenbar stets für ein großes Publikum gedacht waren, reichten
in der Art ihrer Darstellung von der zurückhaltendsten,
alles nur andeutenden bis zur direktesten, anschaulichsten, die
keine Einzelheit ausließ. Die fremden Besucher, die nur
eingeschlechtlich waren, hatten für beides wenig Verständnis
und langweilten sich häufig dabei.
Für die Menschen
waren die zwei verschiedenen Geschlechter von großer Bedeutung.
Alles, was damit zusammenhing, was auf die Begriffe und Gefühle
von Liebe und Hass, von Anbetung und rücksichtsloser
Inbesitznahme, von Treue und Eifersucht führte, um nur einiges
zu nennen, bestimmte in hohem Maße über Jahrtausende ihr Denken
und Handeln, ihre Traditionen, ihre Religion. Das anscheinend
unerlaubte Verhalten eines Mannes und einer Frau (der
beiden ersten, wie es hieß) führte in einem Teil des Planeten
auf den wie immer zu verstehenden Begriff der Sünde; in anderen,
ausgedehnten Gebieten hatte der Unterschied zwischen Mann und
Frau starken Einfluss auf das gesamte tägliche Leben.
Um den Besitz von Frauen wurden
blutige Kriege geführt. Frauen wurden von Männern unterdrückt,
ausgebeutet und verachtet; selten war es umgekehrt.
Um einen Anreiz zu schaffen,
hatte es die Natur bei den Menschen so eingerichtet, dass das
Vorbereitungsritual für die Erzeugung von Nachkommen mit
angenehmen Gefühlen und Reaktionen verbunden war. Vielen kam
es nur darauf an. Den von der Natur angestrebten, eigentlichen
Vorgang verstanden sie zu umgehen oder zu unterbrechen und
wendeten ihre Kenntnisse sehr häufig an. Ganze Industriezweige
und Berufsgruppen profitierten davon. Das Zurweltbringen des
Nachwuchses bereitete den Frauen Schmerzen und bewirkte außer
Freude auch Anstrengungen und Entbehrungen, die viele lieber
vermeiden wollten.
So vernichteten sie selbst Jahr
um Jahr millionenfach menschliches Leben, doch fanden dies nicht
wenige moralisch einwandfrei und gerecht.
Insgesamt brachte die Existenz
von Männern und Frauen eine Reihe schwieriger Probleme mit sich,
die teilweise zu großen Leiden Anlass gaben, und die
Menschen wurden oftmals nicht fertig damit.
Es gab Kriege um den "richtigen" Glauben; Verfolgungen aus
religiösen Gründen hielten bis zu der rätselhaften Katastrophe an,
der die Außerirdischen auf der Spur waren.
Kriege dienten der Ablenkung des
eigenen Volkes von innenpolitischen Schwierigkeiten und der
Befriedigung persönlicher Eitelkeit von Herrschern, die
gelegentlich an der Schwelle des Wahnsinns standen oder sie
bereits überschritten hatten. Kriege spielten bei
Erbfolgestreitigkeiten eine Rolle. Der Krieg wurde abwechselnd
verherrlicht und verdammt; er galt als der Vater aller Dinge und
als Mutter allen Elends. Diese inkonsequente, widersprüchliche
Beurteilung desselben Phänomens erschien den Außerirdischen
typisch für den wankelmütigen Charakter der Menschen, den
sie mehr und mehr zu erkennen glaubten.
Wenn kein strenges Regiment und
keine Aussicht auf Beute die Bevölkerung eines Landes in den
Krieg treiben konnte, musste anderes dafür herhalten. Entweder
waren es die Götter, die angeblich den Krieg wünschten und die
Waffen segneten und heiligten, oder es war die behauptete
Überlegenheit und Höherwertigkeit des eigenen Stammes, des
eigenen Volkes oder der eigenen Rasse gegenüber dem zum Feind
erklärten Nachbarn. Oft genug ging es dabei um Rohstoffe, um den
Zugang zum Meer, um Schiffahrtswege oder um Handelsinteressen,
die anders nicht durchzusetzen waren. Immer wieder
verdienten einzelne große Summen am Krieg, gleichgültig, wer
ihn gewann. Manchmal lieferten sie beiden kriegführenden
Parteien die Waffen und Hilfsmittel; das war dann für sie
am einträglichsten.
Unter den Menschen gab es nicht
nur Feige, die alles mit sich machen ließen, und
Gleichgültige, die sich um nichts kümmerten, sondern auch
solche, die aufpassten, die nachdachten, die deutlich ihre
Meinung zum Ausdruck brachten und dafür notfalls Verfolgung,
wenn nicht gar den Tod in Kauf nahmen. Diese Nachdenklichen,
Mutigen, Entschlossenen, der Wahrheit und Gerechtigkeit
Verpflichteten sperrte man, wenn sie es für die jeweiligen
Machthaber zu weit trieben, ins Gefängnis oder in Straflager, wo
sie oft genug durch Misshandlungen oder Entbehrungen elend
umkamen. Ihr Verhalten wurde von manchen als Dummheit angesehen,
von anderen dagegen als Ausdruck unbeugsamen Freiheitswillens
bewundert.
Staatsgefüge, in denen die
Freiheit unterdrückt wird, nannte man, je nach geschichtlicher
Epoche, Tyrannei oder Diktatur; gemeint war aber immer dasselbe.
Wenn eine Diktatur beseitigt wurde - meist blutig, in Form einer
Revolution, selten durch friedlichen Umsturz, bei dem die
Diktatoren und ihre Helfer am Leben gelassen wurden - , war das
im allgemeinen, außer bei den früheren Machthabern, ein Grund
zu großer Freude. Was aber passierte häufig danach? Entweder
etablierte sich allzu schnell, und zwar scheinbar von selbst,
eine neue Diktatur, wenn auch unter einem anderen Namen, oder das
gesamte gesellschaftliche Leben artete in Anarchie und
allgemeines Durcheinander aus. Banden bildeten sich und stürzten
die Bevölkerung in noch größere Armut und Abhängigkeit
als vorher. So wünschten sich manchmal die ursprünglich
Unterdrückten die alte Diktatur wieder zurück und bereiteten
ihr erneut den Weg.
Das Verhältnis der Menschen zur
Freiheit war zwiespältig: ihre Geschichte, so fanden es die
Außerirdischen in den Büchern beschrieben, war voll von heldenmütigen
Kämpfen für die Freiheit;
ebenso oft aber wollten die frei Gewordenen dann doch wieder
einen "starken Mann", dem sie die Macht übertragen und
blind gehorchen konnten.
Freiheit, das spürten wohl
viele, bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen, und diese ist
meist schwer zu tragen. Deshalb vertraute man sich lieber
jemandem an, der scheinbar alles besser verstand und konnte als
man selbst. Es fand, über längere Zeit betrachtet, ein
ständiger Wechsel zwischen der Herrschaft eines Einzelnen (oder
einer kleinen Gruppe) und der sogenannten
"Volksherrschaft" statt, die in großen Teilen
des Planeten ebenfalls nicht richtig funktionierte.
Diese neigten zu der Annahme,
dass die Ursache dafür nicht kosmischer Natur war - etwa der
Einschlag eines Asteroiden -, sondern von den Menschen
selber stammte. Hierauf deutete die schon gleich zu Anfang
beobachtete Radioaktivität hin, die nicht durch den Aufprall eines
Himmelskörpers entstanden sein konnte.
Die Gründe im einzelnen -
technisches Versagen oder Absicht - waren nicht leicht
auszumachen. Die übrig gebliebenen Bildaufzeichnungen lieferten
nur vage Hinweise, und Bücher zu dem Thema gab es nicht; die
Katastrophe musste sehr schnell und überraschend eingetreten
sein.
Nach dem, was die Fremden
rekonstruieren konnten, gab es kurz vor dem Ende der
Menschheit im wesentlichen zwei Gruppen von Völkern. Die einen
besaßen alles: Nahrung im Überfluss, Kleidung, Wohnung, dazu
zahlreiche Möglichkeiten der Unterhaltung und Zerstreuung. Sie
mussten im Vergleich zu ihren Vorfahren, die die Grundlagen
dafür geschaffen hatten, verhältnismäßig wenig arbeiten und
hatten viel freie Zeit. Die anderen Völker dagegen lebten in
Armut und hatten oft kaum das Nötigste. Sie mussten Hunger und
Durst erleiden, und nicht wenige Menschen starben daran.
Die Bewohner der reichen Länder
wussten häufig mit dem, was sie hatten, nichts Rechtes
anzufangen, langweilten sich und verfielen zum Teil auf
unwürdige, schädliche Lebensgewohnheiten. Verbreitet war
zum Beispiel die freiwillige Einnahme von Giftstoffen, die
Körper und Geist ruinierten. Gleichgeschlechtliche ahmten Teile
der Fortpflanzungsprozedur nach und priesen ihr unnatürliches
Verhalten selbstbewusst als etwas ganz Normales, ja
Erstrebenswertes. Die von den fremden Besuchern aufgefundenen
Sendungen wurden von Mord und anderen Verbrechen beherrscht; sie
dienten den Menschen in den reichen Ländern zu willkommener
Entspannung. Bildende Kunst, Theater, Literatur und Musik
befanden sich dort im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen sie
blühten, auf einem bemerkenswert niedrigem Niveau. Die Themen
und Techniken waren oft primitiv und roh; vieles kam nicht nur
den Außerirdischen absurd und unverständlich vor.
Wegen ihrer Lebensweise
verachteten die armen Länder die reichen. Gleichzeitig
beneideten sie sie aber auch um ihren Wohlstand. Die armen
Länder machten, bis auf wenige Ausnahmen, nur geringe
Anstrengungen, den Lebensstandard der reichen zu erlangen. Sie
stützten sich auf tausendjährige religiöse Traditionen, die in
vielem für das moderne Leben ungeeignet waren, und vertrauten im
übrigen auf ihre große Menschenzahl und Vermehrungsrate, durch
die ihnen eines Tages die Herrschaft über die ganze Erde fast
von selbst zufallen würde. Um dieses Ziel schneller zu
erreichen, riefen einige ihrer Führer offen zum Krieg gegen die
als ungläubig bezeichneten anderen Völker auf. Hass und
Fanatismus in ihren Reihen nahmen zu.
Eine weitere, nicht religiös
motivierte Ideologie, die über drei Generationen praktisch an
Menschen ausprobiert wurde und in dieser vergleichsweise kurzen
Zeit Millionen von ihnen das Leben kostete, ging noch vor der
geheimnisvollen Katastrophe an ihrer eigenen Unlogik und
mangelnden Effizienz zugrunde. Die mit ihr verbundene Diktatur
hatte ein Sechstel der nicht vom Wasser bedeckten Oberfläche des
Planeten beherrscht.
Das Riesenreich zerfiel nach
seinem Ende in kleinere Diktaturen. Am Rande brachen alte, zum
Teil künstlich geschaffene Nationalitätenkonflikte auf, bei
denen Hunderttausende ermordet wurden; hierbei sahen die
übrigen, nicht diktatorisch regierten Länder weitgehend
tatenlos zu. Ein besonderes, biologisches Mittel in diesem mit
großer Grausamkeit geführten Bürgerkrieg war die gewaltsam
erzwungene geschlechtliche Vereinigung der Frauen der Verlierer-
mit den Männern der Siegerpartei. Damit sollte die künftige
völkische Zusammensetzung der Region in derem Sinne günstig
beeinflusst werden.
Mit einer anderen biologischen
Waffe, nämlich der massenhaften Verbreitung tödlicher
Krankheitskeime, bedrohte die Erde ein politischer Wirrkopf mehr
aus dem Zentrum des untergegangenen Imperiums. Er fand
beträchtlichen Zulauf, doch kam es nicht zur Ausführung seiner
Pläne. Die Gefahr lag zum Schluss woanders.
Die Militärtechniker der am
höchsten entwickelten Länder der Erde hatten im Laufe der Zeit
immer gefährlichere Vernichtungsmittel auf atomarer Basis
entwickelt, die schließlich alles Leben auf dem Planeten
auslöschen konnten. Vorbei war es mit der begrenzten Reichweite
früherer Kriege, so entsetzlich diese waren. Der
größenwahnsinnige Diktator eines kleineren Landes beschaffte
sich eine solche, global wirkende Waffe, ohne dass er vom
Ausland ernsthaft daran gehindert wurde, und zündete sie.
Ob er ihre Wirkung unterschätzt hatte oder in seiner
Verrücktheit selber mit draufgehen wollte, konnte nicht mehr
geklärt werden. Auf jeden Fall jagte eine über tausend Grad
heiße Druckwelle um die ganze Erde, begleitet von einem
starken radioaktiven Ausfall. Alles, was lebte, war im Nu tot
oder starb, wenn es nicht direkt von ihr getroffen worden war,
qualvoll kurze Zeit später.
Städte, Verkehrswege,
Industrieanlagen, Staudämme wurden mit zerstört. Die
Polkappen schmolzen ab und überschwemmten weite Gebiete;
kleinere Meere verdampften. Es war ein Wunder, dass die wenigen
Pflanzen, die die Außerirdischen noch vorfanden, den atomaren
Feuersturm überlebt hatten und weiterwuchsen. Sie waren
das einzige, was übrig blieb.
Die Außerirdischen, für die die
aufgefundenen Spuren kaum mehr als neue, etwas
ungewöhnliche Studienobjekte waren, dachten und handelten weniger
gefühlsmäßig als die Menschen. Nicht, dass sie überhaupt
keine Emotionen kannten: Freude und Hoffnung, Ärger, Trauer und
Verzweiflung verspürten sie durchaus. Sie hatten aber auch
erkannt, wie schädlich zum Beispiel der Neid ist, und
mieden ihn, als Folge langandauernder Erziehung, fast schon
instinktiv. Stolz auf materiellen Besitz und erreichte
Machtpositionen galt bei ihnen als unmoralisch; Habgier wirkte
lächerlich und führte in die Isolation.
Auf ihrem Heimatplaneten lebten
die Fremden in vielem ganz anders, als es sich in den
Aufzeichnungen der zerstörten Erde widerspiegelte. Nach
ausgedehnten, mit großer Intensität durchgeführten Versuchen
war es ihnen gelungen, anstelle der von manchen Menschen als
gefährlich angesehenen Kernspaltung die
ungefährliche Kernverschmelzung nutzbar
zu machen; so hatten sie Energie in jeder gewünschten Menge.
Anstatt, wie bis zum Schluss auf der Erde üblich, mineralische
Feststoffe, Öle und Gase zu verbrennen und dadurch die Umwelt zu
belasten, stellten sie daraus einen großen Teil ihrer
hochwertigen Nahrungs- und Genussmittel her. Tiere aßen die
Außerirdischen nicht, nur einige ausgewählte Pflanzen.
Es herrschte bei ihnen keine
Armut, so dass niemand hungerte, aber auch kein
übertriebener Luxus, den sie verabscheuten. Die Außerirdischen
waren klug genug, die Arbeit nicht völlig abzuschaffen; immer
noch gab es bei ihnen genügend Tätigkeiten in der
Güterproduktion, der Verwaltung, dem Erziehungs-,
Bildungs- und Gesundheitswesen, die sie nicht Maschinen
überließen. Jeder, der vom Alter her und gesundheitlich dazu in
der Lage war, arbeitete freiwillig und ohne Murren ein Drittel
des Tages und der durchschnittlich erwarteten Lebenszeit. Die
Entlohnung wurde in gegenseitigem Einvernehmen geregelt; es gab
keine Arbeitskämpfe und sozialen Konflikte. Und es gab keine
Verbrechen, weder von privater Seite, noch von Regierungen
begangen oder begünstigt. Polizei, Strafen, Gefängnisse
waren überflüssig. Auch Kriege, die früher den Planeten der
fremden Besucher heimgesucht hatten, wiederholten sich nicht. So
konnte auf Armeen ebenfalls verzichtet werden. Politiker, die von
einer an öffentlichen Dingen interessierten Minderheit in
regelmäßigen Abständen frei gewählt wurden, waren geachtet.
Sie versahen ihr Amt sachgerecht und boten selten Anlass zur
Klage.
Die allgemeine Harmonie und
Zufriedenheit auf dem fremden Planeten, das Fehlen größerer
Unterschiede und Gegensätze führten nicht zu Antriebsschwäche,
Trägheit und Stagnation. Seine Bewohner waren vielmehr auf Grund
ihrer Veranlagung körperlich und geistig äußerst agil und
produktiv. Sport aller Arten stand in hohem Ansehen, ohne
indessen Pflichtfach in den Schulen zu sein. Fast alle hatten
darüber hinaus mindestens ein weiteres Hobby auf dem
Gebiet der Literatur, der bildenden Kunst, des Theaters oder
Musik. Minderwertige, seichte oder aufreizende Unterhaltung sowie
musikalische Dauerberieselung wie auf der Erde hätten keinen
Zuspruch gefunden.
Kunst war bei den Fremden nicht
das Ergebnis zügelloser spontaner Einfälle, sondern beruhte auf
bestimmten Idealen, setzte Übung und inneres Reifen
voraus. Sie sollte weder provozieren noch schockieren. Neues um
jeden Preis zu schaffen und damit Aufsehen zu erregen, war kein
Ziel. Kunst galt nicht als Ware, und auf den Gedanken, Kunstwerke
als Kapitalanlage zu missbrauchen, wäre niemand gekommen. Alle
Künstler des Planeten waren Amateure; staatliche Förderung
fehlte aus Prinzip.1
Viele Bewohner befassten sich
auch mit wissenschaftlichen Problemen, waren ausgezeichnete
Mathematiker, Historiker oder Völkerkundler. Nahezu
unerschöpfliche Anregungen erhielten sie aus der Raumfahrt, die
schon seit langer Zeit betrieben wurde und zu ständigen
Kontakten mit anderen Kulturen und Zivilisationen führte.
Wie sie sich vermehrten und mit dem Tod umgingen: furchtlos,
selbstbestimmt, würdevoll, überspringe ich.
Die Besucher aus dem All hielten
trotz zahlreicher bemerkenswerter Ausnahmen die Menschen
insgesamt für ungebildet, ja unwissend, und dumm. Dabei
stützten sie sich darauf, dass ein großer Teil derselben zu
jener Zeit weder lesen noch schreiben konnte und dass diejenigen,
die es gelernt hatten, zu wenig oder falsch davon Gebrauch
machten. Die Dummheit, die die fremden Wesen den früheren
Erdbewohnern zuschrieben, bezogen sie auf ihr eigenes, höheres
Intelligenzniveau. Ihnen war es, anders als den Menschen,
gegeben, den Dingen stärker auf den Grund zu gehen, auch
wenn diese, wie etwa bei den Fragen des Zusammenlebens, sehr
kompliziert waren. Sie konnten Ursachen und mögliche Wirkungen
besser erkennen und waren in der Lage, daraus die jeweils
günstigsten Maßnahmen abzuleiten und durchzuführen. Sie
dachten räumlich und zeitlich weiter als die Menschen mit ihren
schlechten Gewohnheiten und ihrem engeren Horizont.
Überdies hielten die Fremden,
wiederum von Ausnahmen abgesehen, die Menschen für
rücksichtslos und grausam, innerlich stets zum Töten bereit,
zum Mord an ihresgleichen und anderen Lebewesen. Sie stellten
fest, dass die Respektierung des Nächsten wie des Fernsten als
Erziehungsziel erst in den Anfängen war und nur selten von klein
auf intensiv geübt wurde. Die meisten Menschen, so schien es,
hatten hauptsächlich ihren eigenen Vorteil im Auge, und nicht
wenige wendeten Gewalt an, um ihn durchzusetzen. Die Kunst des
Kompromisses beherrschten sie nur ungenügend; sehr oft
orientierten sie ihr Denken, Fühlen und Handeln an dem Motto:
Alles oder Nichts. Sie relativierten zu wenig, waren zu
starr.
Viele Gelehrte unter den Menschen
sahen ihre Spezies nicht als eine eigene, besondere
Schöpfung an. Sie glaubten an tierische Vorfahren ähnlichen
Aussehens. Wenn das stimmte, machte sich diese Vergangenheit
immer noch bemerkbar. Die Zeit, sich von ihr zu lösen, war
offenbar zu kurz gewesen. Der Untergang kam schneller. Um ihn zu
vermeiden, hätte es noch vieler Generationen und großer
Anstrengungen zum Wandel bedurft.
Das jedenfalls dachten die
Außerirdischen angesichts der gefundenen Reste auf der Erde, die
sie nun, nachdem sie alles für sie Interessante erforscht
hatten, mit ihrem Raumschiff wieder verließen.
Anmerkung: Zu ihr gibt es im Internet eine hübsche Gegenutopie.
Hier noch ein thematisch ähnlicher Kurztext
mit ein wenig Gelegenheit zum Knobeln.
1 Etwas über "Kunst" auf der Erde (nicht ausgedacht!)
"Außerirdische - wo seid ihr?" (Artikel in "Bild der Wissenschaft online")
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