Sensationelle Beweisverkürzung

Wenn in der Mathematik etwas Neues, Interessantes entdeckt und ohne Beweis veröffentlicht wird, nennt man das eine Vermutung. Berühmt sind die Goldbachsche und die Riemannsche Vermutung. Wird eine Vermutung bewiesen, heißt sie fortan Lehrsatz oder kurz Satz. Manchmal werden auch unbewiesene Vermutungen so bezeichnet wie in dem folgenden Beispiel.

Vor genau hundert Jahren vermuteten O. Hase und M. Lampe: Ist K eine nur gedachte Kugel im ℝ³ mit einer rauen Oberfläche, dann gibt es stets eine Abbildung KK', so dass K' eine Kugel mit vollkommen glatter Oberfläche ist.

Als physisches Objekt würde K' glänzen wie ein hartgekochtes, eingefettetes Osterei. Deshalb sprach man in diesem Zusammenhang vom Einfettungssatz.1 Ungezählte Mathematiker bemühten sich um den Beweis, darunter eine Gruppe, die sich nach einem französischen General benannte. Ihre Neue Mathematik unter dem Motto "Nieder mit Euklid – Tod den Dreiecken!" erregte großes Aufsehen2, hatte aber bei der Einführung in die Schule wenig Erfolg.
1Klingt ähnlich wie ein anderer Satz, in dessen Namen ein Schlafmöbel vorkommt.[1] 2Œuf-œuf que lac je?[2][3][4]

Die im Laufe von vier Generationen entstandenen Publikationen zum Einfettungssatz umfassen mehr als zehntausend Druckseiten. Aus ihnen wurde mit Computerhilfe etwas konstruiert, das auf eine DIN A 4 - Seite passt und als Beweis des Satzes gilt.[5]

In der siebzehnten Zeile fehlt ein Minuszeichen; aber das hat bisher noch keiner bemerkt. Wirklich verstanden wird der Beweis nur von drei oder vier Menschen auf der ganzen Welt. Dass sich zwei kolorature Diffaktionen gegenseitig neutralisieren, kann man noch begreifen; dann ist Schluss. Allein den Text zu lesen, erzeugt Kopfschmerzen. Er enthält zwanzig Zierbuchstaben aus sechs verschiedenen Alphabeten, phantasievoll angehängte Indizes, seltsame Verknüpfungssymbole und, natürlich, Zahlen. Der Beweis endet mit "42". Eigentlich müsste hier 26=17+5+4 für q.e.d. stehen; wie es zur 42 kam, bleibt rätselhaft.[6]

Zur damaligen Zeit schrieben manche Forscher noch (wie Gauß zuvor) lateinisch3, und so ist es nicht verwunderlich, dass eine von dreißig Fußnoten, die dem Beweis folgen, lautet: "Claritas necesse est." Beweise sollen klar sein; vielfach wird auch gewünscht, dass sie "schön", ja "elegant" sind.[7][8] Davon ist der obige Beweis weit entfernt. Wie einige andere moderne wird er sogar als hässlich eingestuft.
3Da glaubte man: "es gibt kein Grünkohlrabimus." (Fehlübersetzung von "kein Ignorabimus"[9])

Beendet wurde das umfangreiche Projekt gerade noch rechtzeitig zu dem besonderen Jubiläum des ei-relevanten Satzes. Es fällt auf den Tag, an dem man Unsinn erzählen darf. Nicht alles im Vorstehenden ist ausgedacht und knüpft an den Artikel [10] auf dem Matheplaneten an. Auf ihm fand ich in [11] noch das hübsche Wort "Siliziumbeweis". Und hier noch: Ein kaum verstandener Beweis[12]

Literatur: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] (Click jeweils!)

1.4.2016

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