Schwebung und Moiree

Dieser Artikel enthält wiederum Bekanntes, aber, so hoffe ich, für manche Leserinnen und Leser auch Neues.

Ich beginne mit dem Schall. Er wird von schwingenden Gegenständen wie Saiten, Platten, Stäben u. ä. erzeugt. Diese bewirken in der umgebenden Luft feine Druckschwankungen, die sich wellenförmig ausbreiten. Im mathematisch einfachsten Fall wird ein Sinuston mit einer festen Frequenz f erzeugt, so daß man an einem ebenfalls festen Ort die Schwankungen des Luftdrucks um seinen Normalwert durch p = a sin(2πft) beschreiben kann. Die Größe p heißt Schalldruck, die Amplitude a ist sein Höchstwert, und t bedeutet die Zeit.
Reine Sinustöne sind verhältnismäßig selten. Man kann sie z. B. mit einer Blockflöte erzeugen, und für Demonstrationszwecke gibt es spezielle Sinusgeneratoren, die auch im Physikunterricht in den Schulen verwendet werden.

Wird zu einem vorhandenen Sinuston ein zweiter mit der gleichen Amplitude a und Frequenz f hinzugeschaltet, kann er je nach Phasenlage des zweiten Tones verstärkt, geschwächt oder ganz ausgelöscht werden.

Hier sind beide Töne in Phase; der resultierende Ton hat die doppelte Amplitude 2a:
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In diesem Fall liegt die Phasenverschiebung zwischen 0 und einer halben Wellenlänge; die resultierende Amplitude ist kleiner als 2a:

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Und hier beträgt die Phasenverschiebung eine halbe Wellenlänge; es kommt zur Auslöschung des ursprünglich vorhandenen Tones in jedem Zeitpunkt t.
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Nun sollen die beiden Töne bei gleicher Amplitude verschiedene Frequenzen f1, f2 haben; dann gibt es ebenfalls Verstärkung und Abschwächung, aber nicht durchgehend für alle Zeiten. Dies deuten die beiden folgenden Beispiele an:
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Bei dem zweiten ist der Frequenzunterschied größer als beim ersten.

Beide Teilbilder lassen noch keine einheitliche Tendenz erkennen, welche Frequenz die resultierende Schallwelle hat, und wann Verstärkung bzw. Schwächung bis hin zur Auslöschung eintritt; dazu sind sie zu verschieden. Wir betrachten deshalb eine größere Anzahl von Schwingungen:

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Hieraus ist ersichtlich: der zusammengesetzte Ton ist ebenfalls eine Sinusschwingung, deren Frequenz allerdings noch unklar ist, und deren Amplitude ebenfalls periodisch mit der Zeit variiert. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer modulierten Sinusschwingung. Die eingezeichnete Einhüllende der Maxima und Minima sieht aus wie eine Kosinuskurve mit sehr viel kleinerer Frequenz, als sie die Sinuskurve besitzt.

Endgültigen Aufschluss ergibt die Rechnung. Mit Hilfe des Additionstheorems

fed-Code ausblenden

\sin x_1 + sin x_2 = 2*cos((x_1-x_2)/2)*sin((x_1+x_2)/2)
erhalten wir:
\sin(2\pi f_1 t)+sin(2\pi f_2 t)=2*cos(2\pi (f_1-f_2)/2 t)*sin(2\pi (f_1+f_2)/2 t)|.
\mixoff

Man hört also nicht nur, was intuitiv vielleicht zu erwarten ist, einen Ton, dessen Frequenz das arithmetische Mittel der beiden Ausgangsfrequenzen f1 und f2 ist, sondern noch einen weiteren Ton, der sich aus ihrer Differenz ergibt. Beide Töne werden zusammenfassend Kombinationstöne genannt, und der zuletzt erwähnte heißt Differenzton. Gelegentlich sagt man dazu auch Tartinischer Ton nach dem italienischen Barockkomponisten Giuseppe Tartini (1692-1770), der ihn bei seinen Kompositionen berücksichtigte. Über die Entstehung der Kombinationstöne bei verschiedenen Instrumenten und ihre Hörbarkeit sowie weitere Einzelheiten berichtet ein in [1] wiedergegebener Lexikonartikel aus dem 19. Jhdt.  

Für das Weitere (und um endlich zu dem Begriff zu kommen, der als erster in der Überschrift steht) ist vor allem der Differenzton von Interesse. Da wir keine Töne mit einer Frequenz kleiner als 16 Hz hören können, ist er, falls sich die Ausgangsfrequenzen f1 und f2 um weniger als diesen Wert voneinander unterscheiden, nicht mehr als solcher hörbar, sondern läßt sich nur noch als Lautstärkeschwankung wahrnehmen. Man spricht in diesem Fall von einer Schwebung.

Diese ist manchmal erwünscht und manchmal nicht. Bei Orgeln z. B. werden einzelne Pfeifen paarweise geringfügig  gegeneinander verstimmt, so daß die Schwebungsfrequenz (d. i. die Frequenz des Differenztones) ca. 5 bis 8 Hz beträgt. Dann tremoliert oder vibriert der von zwei so behandelten Pfeifen erzeugte Ton auf angenehme Weise; er wirkt dadurch lebendiger. Macht man den Frequenzunterschied kleiner, entsteht eine Art Gewimmer; macht man ihn größer (aber noch geringer als 16 Hz), wird der Ton rauher. Tonbeispiele zum Anklicken für die Schwebungsfrequenzen 10 Hz, 1 Hz und 0,5 Hz findet man in [2]. (Vorsicht! Die Wiedergabe kann recht laut sein - nicht erschrecken!)  

Der Klavierstimmer dagegen verändert die mechanische Spannung einzelner Saiten, die genau gleich klingen sollen, solange, bis keine Schwebung mehr auftritt ("Schwebungsnull").  

Es gibt elektrische Musikinstrumente, die den Schwebungseffekt ausnutzen, darunter ein berührungsfreies, das in [3] und [4] behandelt wird. Die letztgenannte Internetstelle enthält ein Foto der Spielerin eines solchen Instruments, dessen Töne allein durch ihre Körperbewegungen verändert werden; dazu gibt es eine Klangprobe.

Weiter wird das Prinzip der Schwebung bei der Amplitudenmodulation im Rundfunk verwendet, beim Verkehrsradar, bei Bewegungsmeldern und Metallsuchgeräten, um nur einiges zu nennen. Weniger bekannt ist die Anwendung des Schwebungs-Effekts bei der Erzeugung von Strahlung im Terahertz-Bereich [5] und in der Getriebetechnik [6].


*


Verwandt mit dem akustischen Phänomen des Zusammenwirkens zweier Sinustöne ist ein optisches, das zum Beispiel bei der Überlagerung von Strichgittern auftritt, deren Strichabstände sich etwas voneinander unterscheiden:
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Es kann zum Beispiel an Zäunen oder Brückengeländern beobachtet werden.

Die Striche müssen nicht zueinander parallel sein wie in der folgenden Figur:

Bild
 
Von jedem der beiden roten Punkte gehen radial in gleichem Winkelabstand Strecken aus. Die sich wie bei dem "Zaun"-Beispiel andeutenden, diesmal aber gebogenen dunklen Bereiche bilden ein sogenanntes Moiree-Muster. Dieser Name rührt von bestimmten Stoffarten her, bei denen sich die Gewebefäden unter sehr spitzen Winkeln überkreuzen, wodurch hellere und dunklere Streifen sichtbar werden. Moiree-Muster treten häufig auf, z. B. bei Gardinen (Stores), im Fernsehen, wenn jemand ein gestreiftes Hemd anhat, oder bei digitalen Fotobildern. Unter anderem sind Dachziegelreihen anfällig für diese Art von Störung:

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Zum Abschluss ein letztes Bild, aufgenommen in einem Lebensmittel-Supermarkt. Es zeigt einen Warenbehälter mit Rädern, dessen Wände aus Lochplatten bestehen. Die Löcher sind ca. 3 mm groß und aus einigen Schritten Entfernung kaum noch zu sehen. Geht man auf den Behälter zu oder von ihm weg, erscheinen Moiree-Muster, die ständig ihr Aussehen wechseln. Ab und zu sieht man die Löcher stark vergrößert:

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Das hat mich fasziniert. In diesem Zusammenhang fiel mir ein, früher einmal gelesen zu haben, dass man den Moiree-Effekt bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung von Viren anwendet. Ziel ist auch hier, sie vergrößert zu erhalten. Wie man das genau macht, habe ich leider vergessen.

Interessant und reizvoll dürfte es auch sein, die mathematische Form der in dem drittletzten Bild auftretenden sichelförmigen Moiree-Bezirke zu analysieren, genauer: die Ortskurven der Streckenschnittpunkte in ihrem Innern. Sind es Kreise?

Hans-Jürgen,
6.12.06

[1] Meyers Konversationslexikon, S. 974 mit 'Kombinationston'
[2] Schallausbreitung (Abschnitt Besonderheiten..., 1. Interferenz und Schwebung)
[3] 'Theremin' elektrisches Musikinstrument, das die Schwebung ausnutzt
[4] Barbara Buchholz spielt auf dem Theremin
[5] Terahertz-Strahlung - Bindeglied zw. Elektronik und Optik
[6] Zahnradgetriebe f r hohe Umsetzungen


Re: Schwebung und Moiree
von Bernhard am Do. 07. Dezember 2006 10:08:05


Hallo Hans-Jürgen!
Für Einsteiger eine schöne und anschauliche Einführung!
Ich vermisse allerdings ein Paar Sachen:
1.) Den klaren Hinweis darauf, dass es sich beim Schall um Longitudinalwellen handelt, im Gegensatz zu den in deinen Graphiken behandelten Transversalvellen. Ich weiß, letztere sind leichter zu veranschaulichen und im Prinzip analog zu berechnen, aber man sollte vielleicht trotzdem auf den Unterschied aufmerksam machen.
2.) Warum hast Du im Zusammenhang mit den beschriebenen Moiree-Mustern die allgemeine Bezeichnung für Überlagerungeseffekte bei Wellen, nämlich "Interferenz" nicht erwähnt? Moiree-Muster bezieht sich lediglich auf eine optische Veranschaulichung. Das Flimmern eines Bildschirms gehört z.B. auch dazu, also nicht nur statische Bilder.
3.) Der Unterschied zwischen Schwebung und Modulation:
Unter Schwebung versteht man die von Dir beschriebenen Überlagerunsphänomene, Modulation dagegen ist die Aufprägung von niederfrequenten Signalen auf höherfrequente durch Veränderung der Amplitude, der Frequenz oder der Phase. Das ist das Prinzip beim Senden von Rundfunksignalen o.a. und, da man die verschienenen Modulationen unabhängig voneinander anwenden kann, ist es dadurch auch möglich, gleichzeitig mehrere Signale auf eine Trägerwelle zu packen. Bei der Amplitudenodulation sieht es dann allerdings so ähnlich aus wie bei Deiner Schwebung: dann entspricht die Trägerfrequenz entspräche dann der resultierenden Grundschwingung, das Signal der einhüllenden Kurve ihrer zu- und abnehmenden Maxima und Minima.

Viele Größe, Bernhard

 


Re: Schwebung und Moiree
von Hans-Juergen am Do. 07. Dezember 2006 15:35:57 http://www.hjcaspar.de


Hallo Bernhard,

danke für Deine ausführliche Stellungnahme,
auf die ich wie folgt antworten möchte:

Zu 1)
Da es sich beim Schall (in Luft) um Longitu-
dinalwellen handelt, glaubte ich nicht extra
erwähnen zu müssen. Indirekt enthält das mein
Hinweis auf geringfügige Luftdruckschwankungen.
Dein Eindruck, dass meine Graphiken Transversalwellen
wiedergeben, täuscht. Die Ordinate bezeichnet
nicht die Auslenkung quer zur Ausbreitungsrichtung,
wie sie bei Transversalwellen auftritt, sondern
den Schalldruck.  

Zu 2)
Dass in dem Artikel der Begriff "Interferenz" nicht
vorkommt, hängt, ebenso wie im Fall der Longitudinal-
wellen, damit zusammen, dass ich möglichst nur spezielle
Fachausdrücke einfügen wollte, die unmittelbar gebraucht
werden. "Interferenz" schien mir dabei entbehrlich.

Zu 3)
Näher auf Modulation einzugehen, gehörte nicht zu
meinem Thema. Festgestellt habe ich lediglich, dass
bei der Überlagerung zweier Sinusschwingungen mit
unterschiedlicher Frequenz eine modulierte Sinus-
schwingung resultiert. Für das, was ich behandeln
wollte, genügte es.

Viele Grüße,
Hans-Jürgen


Re: Schwebung und Moiree
von Hans-Juergenam Fr. 08. Dezember 2006 13:14:02 http://www.hjcaspar.de


Ergänzung:

Die am Ende des Artikels gestellte Frage lässt sich
anscheinend bereits dahingehend beantworten, dass die
Schnittpunktkurven keine Kreise sind:

Bild

Hans-Jürgen

 


Re: Schwebung und Moiree
von Gockel am Fr. 08. Dezember 2006 16:22:56


Hi Hans-Jürgen.

Wie siehst du der Zeichnung an, dass es keine Kreise sind? Für mich sieht das sehr nach Kreis oder zumindest fast kreisförmiger Ellipse oder sowas aus...

mfg Gockel.

 


Re: Schwebung und Moiree
von Hans-Juergen am Fr. 08. Dezember 2006 16:35:33 http://www.hjcaspar.de


Hi Gockel,

die roten Linien sind in der Tat exakte Kreise,
aber die Streckenschnittpunkte, um die es mir
hierbei geht, liegen nicht alle auf ihnen.

Mit freundlichem Gruß,
Hans-Jürgen

 


Re: Schwebung und Moiree
von Anonymous am Fr. 08. Dezember 2006 16:42:07


Hallo,

irgendwie erinnert mich das Bild an einen Dipol und an die sog. Apollonischen Kreise.


Re: Schwebung und Moiree
von shadowking am Fr. 08. Dezember 2006 18:43:16


Bei obigem Muster taucht die Frage auf, ob die Schnittpunkte
der radialen Linien auf Kreisen liegen.
Dazu folgendes:
Der Winkelabstand zwischen zwei benachbarten Radien zu Punkt
P1 ist gleich dem zweier benachbarter Radien zu Punkt P2. Damit
bleibt auch der Winkel beim Schnittpunkt beider Radien auf der
gesuchten Linie konstant. Also handelt es sich bei diesen Winkeln
um Peripheriewinkel zur Sehne P1P2, deren zugehörige Punkte
bekanntlich alle auf einem Kreis liegen.
Dieser Kreis verläuft also durch P1 und P2, nicht durch deren
Mittelpunkt.

Gruß Norbert

 


Re: Schwebung und Moiree
von Hans-Juergen am Fr. 08. Dezember 2006 20:02:17 http://www.hjcaspar.de


O ja, das ist es!

Bild

Vielen Dank, Norbert, und herzliche Grüße.

Hans-Jürgen

 


Re: Schwebung und Moiree
von Spock am Sa. 09. Dezember 2006 17:35:24


Hallo Hans-Jürgen, hallo Norbert,

schön zu lesen, dass Ihr Euch, trotz zeitlich begrenzter Dissonanzen, einig seid, was Schwingungen und Schwebungen betrifft. Ich finde das gut und schwinge mit Euch, :-)

Juergen


Re: Schwebung und Moiree
von Hans-Juergen am Sa. 01. Dezember 2007 23:17:50 http://www.hjcaspar.de

Hallo Freunde,
im Internet bin ich (wie es einem manchmal so geht) bei der Suche nach etwas ganz anderem auf eine Reihe von YouTube-Videos gestoßen, in denen das oben erwähnte Theremin erklärt und gespielt wird:
Wie's funktioniert: Theremin Lesson One
Historisch: Leon Theremin playing his own instrument
Lustig (wie ich finde): Gnarls Barkley Crazy Theremin Jam
Stimmungsvoll: Theremin Lydia Kavina plays Clair de Lune
Und hier noch einmal dasselbe Stück ohne Theremin, aber in einer Präsentation,
die man nicht alle Tage sieht: Clair de Lune.
Schließlich eine weitere, wiederum andere Visualisierung eines Musikstücks:
Chopin, Nocturne, opus 27
Vielleicht gefällt Euch einiges davon. Es grüßt Euch herzlich
Hans-Jürgen

Nachtrag Jan. 2020: Ein weiteres Stück mit Theremin: Ennio Morricone: Once Upon a Time in the West

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