"Wo blieb Gott?"

Auf einer ganztägigen Veranstaltung für Bibel-Hauskreise in unserer Gemeinde gehörten die geistlichen Waffen, von denen die Bibel mehrfach redet1), zu den Themen, die zunächst durch Vorträge im Plenum behandelt und anschließend in Kleingruppen vertieft wurden.

Mit diesen "Waffen" müssen sich gläubige Christen ausrüsten, um eigene Glaubenszweifel und -anfechtungen bestehen zu können, aber auch, um Angriffen von außen gewappnet zu sein. In der Kleingruppe, an der ich teilnahm, wurde von einigen darauf hingewiesen, daß sie bei Arbeitskollegen, Verwandten und Freunden, die nicht an Gott glauben, für ihre christliche Einstellung wenig Verständnis finden und von ihnen zum Teil kritisiert und bespöttelt werden.

Ohne Spott und mit tiefem Ernst sei dabei einmal gefragt worden: "Wenn ein Kind von verbrecherischen Männern drei Tage lang mißbraucht und dann ermordet wurde – wo blieb da Gott?!"

Diese Frage berührt ein schwieriges Problem, das wir in der Kürze der Zeit nicht lösen konnten. Nach dem Ende der Veranstaltung wandte ich mich an den als Referenten eingeladenen Pastor, um zu erfahren, was er dazu meinte. Seine Antwort bestand aus einem theologischen Teil, von dem ich nur wenig verstand, und einem zweiten, für mich leichter faßbaren. Haften geblieben ist mir davon sinngemäß Folgendes:

Als Jesus nach schwerer Folter einen schmerzhaften, schmachvollen, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tod für uns starb, war Gott ihm besonders nahe. Dies könne man auch für das erwähnte Kind wie für alle anderen Menschen annehmen, die grausam umgebracht wurden. (Als Beispiele nannte der Pastor ausdrücklich die im Holocaust Ermordeten und die durch Abtreibung getöteten, noch ungeborenen Menschen.)

Ich fragte weiter, ob diese Unglücklichen von Gott in Sein Himmlisches Reich aufgenommen werden, auch wenn sie nicht an ihn glaubten oder gar keine Gelegenheit dazu hatten. Er sagte, davon könne man ausgehen, obwohl in der Bibel nichts darüber stehe. Diese Antwort erscheint mir einigermaßen tröstlich. Zwar wird sie diejenigen, die nicht an Gott glauben, kaum befriedigen, doch entspricht sie meinem Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit für auf Erden unschuldig erlittene, außergewöhnliche Qualen.

1) 2. Kor 10,4; Eph 6,11,13 und 16-17

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