Über Vertrauen

Unser Pastor predigte über den Glauben. Es ist das Lutherjahr: vor fünfhundert Jahren begann, sagt man, die Reformation mit dem Anschlag der fünfundneunzig Thesen an die Wittenberger Schlosskirche, der sich inzwischen als Legende herausgestellt hat. "Sola fide" war in großer Schrift von oben bis unten in unserer Kirche auf einer imitierten Marmorsäule mit griechischem Kapitell zu lesen. Es bedeutet, dass wir allein durch den Glauben "gerettet" sind, sagte der Pastor. Was er genau damit meinte, blieb offen; vermutlich wurde es bei den Gottesdienstbesuchern als bekannt vorausgesetzt.

Zum Glauben, fuhr er fort, gehört zweierlei: Wissen über das zu Glaubende und Vertrauen. Dies kann missbraucht oder zumindest enttäuscht werden. Hiervon handelte der Predigttext (Mk 9,17-27): Ein Mann kommt mit seinem epileptischen Sohn zu Jesus in der Hoffnung, dass dieser ihn heilt. Vorher waren die beiden bei einigen von Jesu Jüngern, die die Gabe der Krankenheilung hatten; aber sie konnten nicht helfen. Der Mann, durch das bei ihnen Erlebte seiner Sache nicht sicher, sagt zu Jesus: "22 ... Wenn du aber etwas kannst, erbarme dich unser und hilf uns!" Jesus nimmt Anstoß an dem "Wenn" und heilt den Jungen trotzdem. Noch weiter davor, als der Mann die Jünger erwähnte, wurde der Heiland richtig ungehalten und sagte: "19 O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!"

Damals glaubte man an einen bösen Geist, der den Jungen beherrschte und peinigte. Nicht enthalten im Predigttext waren die Verse:
"28 Und als er ins Haus kam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? 29 Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten." Übrigens betete Jesus selber nicht; er bedrohte den Geist und befahl ihm, sich hinweg zu begeben.

Bevor Jesus mit der Heilung des kranken Kindes begann, die etwas dauerte und recht dramatisch ablief, sagte er noch zu dem Vater: "23 Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt." Und im folgenden Vers heißt es: "24 Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!"

Der Mann aus Markus 9 und sein Sohn hatten Glück: sie begegneten Jesus direkt, und Er heilte den Jungen. Für uns gibt es diese Möglichkeit nicht. Wir beten zu Gott und Jesus, wobei Grenzen sichtbar werden. Ein früherer Pastor in meiner Gemeinde sagte in einer Predigt: "Gott hört unsere Bitten, aber er erhört sie nicht alle." Dadurch besteht die Gefahr des Aufgebens, besonders in scheinbar aussichtslosen Situationen wie schwerer Krankheit oder bei unschuldigen politischen und religiösen Gefangenen in weltweit verbreiteten Diktaturen. Wenn wir dennoch weiterbeten (und zwar nicht nur bitten, sondern auch danken für das, was wir an Guten empfangen haben), bleiben uns der Glaube, die Hoffnung und die Liebe erhalten, wie sie in hier in Vers 13 gemeinsam genannt werden. Sie verlassen uns nicht, und wir vertrauen auf Gott. – Anm.: das Wort πίστις (pistis) in der griechischen Sprache des Neuen Testaments bedeutet sowohl Glaube wie Vertrauen.

Zum Nachdenken:
Wann vertraut man einem Menschen, und warum vertrauen diejenigen, die es tun, Gott?

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