Über die Urkirche und was aus ihr wurde

Als Urchristen im engeren Sinne bezeichnet man diejenigen, die noch das Wirken und Sterben Jesu Christi miterlebten und bezeugten. Als sie gestorben waren, dauerte es noch mehrere Jahrzehnte, bis die zunächst nur mündlichen Überlieferungen in Form der vier Evangelien des Neuen Testaments und seiner Apostelgeschichte schriftlich fixiert wurden. Abgeschlossen war dies rund hundert Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung des Heilands. Während dessen bildeten die Urchristen und ihre Nachkommen die aus vielen Einzelgemeinden bestehende Urkirche in verschiedenen Ländern des Mittelmeerraumes.

Im allgemeinen lebten sie in ihren Gemeinden einträchtig zusammen und teilten dabei den materiellen Besitz, doch gab es dabei auch Differenzen, zum Beispiel bei der Witwenversorgung, sowie, modern ausgedrückt, Fraktionsbildungen in Glaubensfragen.

Die Urchristen glaubten nach Jesu Himmelfahrt an seine baldige Wiederkunft noch zu ihren Lebzeiten, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Daß die ersten Christen wie die Juden (und wie auch wir es heute noch tun) zu einem einzigen Gott beteten, brachte sie in Gegensatz zu den meisten anderen Menschen ihrer Umgebung. Bei diesen erzeugten sie Unverständnis und Befremden, das nicht selten in Haß und Feindschaft umschlug. Den Christen wurde Böses und Schlechtes nachgesagt, zum Beispiel über ihr Verhalten bei den Gottesdiensten, so, wie sie es selber Jahrhunderte später zeitweise mit den Juden taten. Dadurch, daß die ersten Christen es ablehnten, den damals als gottähnlich verehrten römischen Kaisern zu huldigen, galten sie als Staatsfeinde. Viele wurden, da sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, gefoltert und anschließend ermordet. Üblich war es auch, sie zum Vergnügen eines verrohten Publikums in den Zirkusarenen wilden Tieren vorzuwerfen.

Dies zog sich mit Unterbrechungen, s. u., hin bis zu der sogenannten "Konstantinischen Wende" im Jahre 313 nach Christi Geburt. Das Christentum wurde zunächst geduldet und ab etwa 380 römische Staatsreligion. In der Folge gaben sich viele, ohne daß sie den urchristlichen Idealen und Glaubensvorstellungen anhingen, als Christen aus, um in der Armee, im Justizwesen und der übrigen Verwaltung Posten zu erhalten. Durch sie und ihren sich verstärkenden Einfluß verlor die Kirche ihre ursprüngliche, rein geistliche Rolle. Aus einer Verfolgten wurde nach und nach eine Verfolgende, die sich gegen die noch vorhandenen Reste der alten Religionen wandte; dies dauerte viele Jahrhunderte an. Auch innerhalb der Kirche, die sich mehr und mehr verweltlichte, gab es Verfolgung und Unterdrückung derjenigen, die zwar auch an Gott und Jesus Christus glaubten, aber anders, als von den Leitern der Kirche gefordert.

Im Laufe ihrer fast zweitausendjährigen Geschichte bestand bei einzelnen immer wieder der Wunsch, zu den mit einer gewissen Verklärung angesehenen Verhältnissen in der Urkirche zurückzukehren. Für diese wurde in unserer Zeit das Wort "Liebeskommunismus" erfunden. Ein prominenter Vertreter solcher rückwärtsorientierter Gedanken war im 19. Jahrhundert der Amerikaner Joseph Smith. Er bezeichnete sich als Propheten, der die Aufgabe habe, die Kirche Jesu Christi auf Erden wiederherzustellen. Die von ihm gegründete Bewegung, abkürzend "Mormonen" genannt, war umstritten und wurde verfolgt, er selbst ermordet. Näheres über ihn und seine "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" findet man vielfach im Internet. Sie wurde im Laufe der Zeit eine machtvolle Organisation mit Hauptsitz in Salt Lake City, USA. Von den großen christlichen Kirchen wird sie nicht als christlich anerkannt. Was sie lehrt, ist in wesentlichen Punkten unbiblisch; die vielleicht anfänglich gewollte Rückkehr wurde verfehlt.

Zu der Frage, ob diese heute noch möglich oder überhaupt wünschenswert ist, nahm der vielgelesene Fantasy-Autor J. R. R. Tolkien ("Herr der Ringe") in einem Brief Stellung, der hier wiedergegeben ist, und in dem er sich auf das biblische Gleichnis vom Senfkorn bezieht.

"Urchristen" nennt sich heute eine deutsche religiöse Vereinigung, der Gustav Bogner, der Verfasser dieser Abhandlung über die Symbolsprache der Bibel angehört. In ihr werden auf S. 22 die oben erwähnten Unterbrechungen der Christenverfolgung präzisiert:

"... In der ersten, der beschriebenen Epochen, von 96 bis 180 n.Chr., konnte das Evangelium im Römischen Reich noch rein und unverfälscht verkündigt werden. Der Bogen, den der Reiter in der Hand hält, ist ein Symbol der Rede. Der Sieg der Evangeliumsverkündigung wurde durch die Predigt gewonnen (Röm 10,17.18; Kol 1,23). Die Ekklesia konnte ohne Angst vor Verfolgung das ursprüngliche Evangelium im Römischen Reich verbreiten. Während der Regierung Nerva, Trajan, Hadrian und der Antoninen herrschten Frieden und Freiheit, gab es keine Kriege, dafür allgemeine Wohlfahrt im Römischen Reich...."

Anmerkungen:

-- Als "Urchristen" bezeichnen sich verschiedene Glaubensgemeinschaften, darunter die Organisation "Universelles Leben" mit einer eigenen "Prophetin". Der o. g. Autor Gustav Bogner hat mit dieser Gruppe nichts zu tun.
-- Einen langen Artikel über das Urchristentum enthält die Online-Ausgabe der Oekonomischen Encyklopädie von Johann Georg Krünitz, die in den Jahren 1773 bis 1858 in 242 Bänden erschien. Zur Ergänzung des Obigen zitiere ich hier abschließend den Anfang dieses Artikels:

"Urchristenthum, eigentlich das Christenthum, wie es in seinem Ursprunge beschaffen war, also das religiöse Leben der ersten Christen in ihren Lehren, Sitten und kirchlichen Einrichtungen, welches ganz das Gepräge der Apostel an sich trug, die die Gründer der ersten Christen=Gemeinden waren. Der Verfasser des betreffenden Artikels im Conversations=Lexicon schildert dieses Leben folgendermaßen: Kindliche Einfalt, schlichter, zuverlässiger Glaube an die Worte und Thaten Jesu, fromme Begeisterung, strenge Sittlichkeit und festes Zusammenhalten in brüderlicher Liebe waren die Grundzüge dieser Eigenthümlichkeit der ersten Christen. Ihnen genügte, treulich anzunehmen, was die heilige Schrift und der Unterricht frommer, mit der gelehrten Bildung und philosophischen Grübelei der Weisen ihres Zeitalters meist unbekannter Lehrer ihnen mittheilte, ohne den Mangel eines wissenschaftlich begründeten und genau bestimmten Lehrbegriffs in den wichtigsten Dogmen, z. B. von der Gottheit Christi, von der Dreieinigkeit, von der Art und Weise der Rechtfertigung des Sünders vor Gott etc., zu empfinden. Dafür war ihre zuverlässige, wenn auch noch keinesweges kritisch gesichtete Erkenntniß des Historischen im Christenthum desto lebendiger und fruchtbarer. Ihr Herz entbrannte in heiliger Ehrfurcht und Freude bei der Verkündigung des Evangeliums. Wie ein immer gegenwärtiger, Alles beseelender und allen Gliedern seiner Gemeinde innig vertrauter Freund stand der einst gekreuzigte und auferstandene, nun verklärte Heiland vor den Blicken ihres Geistes. Und mit tiefer Rührung hörten sie die Jünger, die ihn selbst gesehen, betraten sie die Stätten, wo in einer noch nahen Vergangenheit er selbst umhergegangen war und auch für sie gewirkt, gelitten und gesiegt hatte. Nicht in Kirchen, und überhaupt ohne alle Beiwerke äußerer Pracht, auch nicht als eigentlichen Gottesdienst (da der heidnische und jüdische Begriff dem Urchristenthum fremd war), sondern zur gemeinschaftlichen Erbauung hielten sie ihre Versammlungen zuerst in Privathäusern, später, da harte Verfolgungen über sie kamen, auch in Höhlen, Wäldern und unterirdischen Gemächern (Katakomben), meist geheim, oft -- aus Furcht, entdeckt zu werden -- unter dem Schutze der Nacht, mit Gebet, Gesang, Vorlesung heiliger Schriften und auslegender Belehrung, verbanden sie sich zu traulichen Agapen, auf welche die Feier des Abendmahls zum Gedächtnisse des Todes Jesu und zur Befestigung brüderlicher Gemeinschaft folgte, ihnen ein Mysterium, durch Entfernung aller Ungetauften und Uneingeweihten auch äußerlich mit heiligem Dunkel umhüllt. Ein Fluß diente zur Taufe Derer, welche die Aufnahme in die Gemeinde Jesu begehrten und ihren Glauben an Vater, Sohn und Geist bekannten. Eine vorläufige Bekanntschaft mit den Hauptwahrheiten des Christenthums wurde bei ihnen vorausgesetzt, weil nur diese sie bewogen haben konnte, sich an die äußerlich unscheinbaren, ja bedrängten und verfolgten Christen anzuschließen -- die Anstalt des Katechumenen=Unterrichts kam erst gegen Ende des zweiten Jahrhunderts auf. -- In stiftungsmäßiger Einfachheit wurden diese Gebräuche begangen, die Innigkeit der Feiernden ersetzte den fehlenden Glanz; von anderen, später in den christlichen Gottesdienst eingeflochtenen feierlichen Gebräuchen sagt die Geschichte der Kirche des ersten Jahrhunderts nichts Erweisliches; die heilkräftige Oelung der Kranken, das Teufelaustreiben und die Pflege der Energumenen (Besessenen, Epileptischen) hatten noch fast allein die Bedeutung einer brüderlichen Hülfe, das Begraben der Leichen in die Erde aber den Zweck der Unterscheidung von den Heiden, welche ihre Leichen verbrannten. Demnächst war in der ältesten apostolischen Gemeinde zu Jerusalem zum Zeichen der Einheit im Geist und gegenseitigen Hingebung eine Gütergemeinschaft eingeführt worden, bei welcher jedes Glied den Ertrag seiner Habe zu einer Gesammtkasse liefern mußte, und aus derselben, zur Herstellung brüderlicher Gleichheit, nicht mehr als der Aermste zu seiner Versorgung erhielt. Nach nicht gar langer Zeit erkannte man jedoch, daß diese, von andern Gemeinden nicht nachgeahmte Einrichtung wohl dem engen Vereine Jesu mit seinen Jüngern angemessen gewesen, aber für größere Gesellschaften eher verderblich als heilsam sei, und schaffte sie wieder ab. ..."

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