Herausgefordert

Ein Mann, den ich nicht kenne, schrieb mir eine aus dem gewohnten Rahmen fallende Mail. Darin zeigt er sich "erschrocken", ja entsetzt über mich und fragt: "Was für ein Christ sind Sie eigentlich?"

Sein Anlass hierfür war, dass ich auf einer meiner Seiten jemanden zitiere, der sich viele Gedanken über Gott, das Böse, die Naturgesetze und den Teufel macht und dabei recht eigenwillig, in meinen Augen aber nicht tadelnswert, vorgeht. Der E-Mail-Schreiber fragte weiter provozierend, ob ich denn die Ausführungen des betreffenden Autors überhaupt gelesen habe. Sie selber bezeichnete er als den "übelsten Text extremistischer Christen, der mir je untergekommen ist."

Das ist schon starker Tobak. Es gehört sich nicht, einen Fremden, mit dem man noch nie etwas zu tun hatte, so unvermittelt und direkt zu fragen, wie es der Mail-Absender tat, und schon gar nicht, andere zu beleidigen. (Inzwischen weiß ich, dass "extremistische Christen" ein propagandistischer Kampfbegriff ist, der mehrmals auch im Internet verwendet wird.)

So lag es nahe, dass ich mich über die Zuschrift ärgerte und dicht davor war, sie zu löschen, um sie anschließend zu vergessen.

Es kam aber anders. Ich dachte darüber nach, warum derjenige, der mir schrieb, so aggressiv urteilt und vorgeht. Genoss er keine gute Erziehung, ist er unglücklich, hat er Minderwertigkeitskomplexe und glaubt deshalb, sich auf bestimmten Gebieten durch einen harschen Ton hervortun zu müssen? Oder ist er, im Gegenteil, übermäßig selbstbewußt und der Ansicht, dass nur er recht hat?

Natürlich gibt es auf diese Fragen keine klaren Antworten, solange ich den Menschen nicht näher kennenlerne (wozu ich wenig Neigung verspüre); aber etwas kommt bei der ganzen Angelegenheit trotzdem für mich heraus: eine Aufforderung zur Selbstprüfung und zum Nachdenken darüber, wie man sich als Christ verhalten soll.

Die Bibel fordert dazu auf zu vergeben, wenn man angegriffen oder gekränkt wurde. Wir sollen nachsichtig, nicht nachtragend gegenüber denen sein, die uns dies antun. Feinde sollen wir sogar lieben. Dabei wird gesagt, dass es ein Leichtes ist, die eigenen Freunde zu lieben ("Das tun sogar die Heiden"), während es uns bei unseren Widersachern oftmals schwer fällt.

Einen Unbekannten zu lieben ist ebenfalls nicht einfach; dazu gehört als Minimum ein grundsätzliches Wohlwollen, das man ihm gegenüber empfindet. Darum bemühe ich mich im vorliegenden Fall wie auch um einige weitere Kennzeichen der Liebe, die der Apostel Paulus im 13. Kapitel seines ersten Korintherbriefes beschreibt.

So bin ich am Ende dem E-Mail-Schreiber dankbar, dass ich durch ihn an diesen Zusammenhang erinnert wurde, der, seitdem ich zum Glauben kam, auch bei anderen Gelegenheiten mein Verhalten beeinflusst.

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