Väterliche Lehre

Wegen unseres defekten Staubsaugers besuchte mich ein Mitarbeiter der Herstellerfirma. Er kommt aus der Türkei, lebt mit seiner Frau und drei Kindern seit zehn Jahren in Deutschland und ist gläubiger Muslim. Wir sprachen nicht nur über den Staubsauger, sondern auch ein wenig über unsere beiden Länder und kamen dabei auch auf den Glauben. Dabei erzählte er:

Seine neunjährige Tochter hatte ihn gefragt: "Papa, muss ich beten?" Er antwortete ihr nicht direkt, sondern mit einer Gegenfrage: "Was tust du, wenn ich dir ein Stück Schokolade schenke?" Die Tochter: "Ich sag' danke!" Der Vater: "Nun atme einmal ganz tief ein und aus! Und nochmal, ganz tief, zwei-, dreimal hinterher." Das Mädchen atmet ein und aus, wie der Vater es sagt. "Und nun bewege deine Arme weit und langsam. Schau' auf deine Hände und bewege sie!" Das Kind folgt, und der Vater sagt weiter: "Spürst du das? Merkst du, wie wunderbar es ist, dass du atmen kannst, dass du dich bewegen kannst, dass du sehen kannst, dass du Hände hast?" "Ja," sagt das Mädchen und weiß nicht recht, warum der Vater das alles fragt. Er fährt fort: "Für ein kleines Stück Schokolade bedankst du dich. Aber dankst du auch Gott für das, was wir gerade festgestellt haben und noch vieles andere?" Mehr braucht er nicht zu sagen. Die kleine Tochter liebt ihren Vater und versteht, was er meint: Es ist gut zu beten, nicht nur, weil man muss und es sich so gehört. Als der Mann gegangen war, dachte ich, wieviele Kinder unter denen bei uns, die sich Christen nennen, mit neun wohl noch beten, solche Fragen stellen und Antworten erhalten.

(Anmerkung: Bei seiner Erzählung sagte mein neuer Bekannter auf deutsch, wie wir es tun, Gott, doch in seinem Herzen Allah. Keiner fing damit an, die Unterschiede zwischen Christentum und Islam zur Sprache zu bringen; dafür war die Zeit zu kurz. Beide kennen wir in groben Zügen den Glauben des anderen – und hängen an unserem eigenen ...)

Zurück zu "Über das Beten"
Zurück zur Themenübersicht, Teil 1