aus: http://www.spiegel.de/politik/ausland/auswaertiges-amt-sagt-sinfoniker-konzert-zu-armeniern-in-istanbul-ab-a-1118212.html




Streit über Völkermord

Auswärtiges Amt sagt Sinfoniker-Konzert in Istanbul ab

Die Bundesregierung scheut neuen Streit mit der Türkei. Das Auswärtige Amt sagte einen Auftritt der Dresdner Sinfoniker ab, sie wollten ein Konzert in Istanbul geben. Thema: die Massaker an den Armeniern



Dienstag, 25.102016 16:31 Uhr

Das Konzert war für den kommenden Monat angesetzt, die Dresdner Sinfoniker planten einen Auftritt im deutschen Generalkonsulat in Istanbul. Thema: die Massaker an den Armeniern. Doch diese Aufführung wird es nun nicht geben. "Die Räumlichkeiten des Generalkonsulats in Istanbul stehen am 13. November nicht zur Verfügung", teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit.

Die Sinfoniker hatten zuvor den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident Binali Yildirim, Außenminister Mevlüt Cavusoglu und Kulturminister Nabi Avci zu der Aufführung im Generalkonsulat eingeladen. Das wurde offenkundig als Provokation aufgefasst - mit der Folge, dass der Auftritt nun abgesagt wurde. Aus dem Ministerium in Berlin hieß es: "Einladungen zu der Veranstaltung sind ohne Beteiligung des Auswärtigen Amtes erfolgt."

Die Sinfoniker wollten ihr Stück "Aghet" im Generalkonsulat in einer kammermusikalischen Fassung aufführen. Es handelt vom Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich vor gut 100 Jahren. Bei der Gala sollte zudem eine armenisch-türkisch-deutsche Freundschaftsgesellschaft gegründet werden. Das Auswärtige Amt teilte mit, die Aufführung sei verschoben. Ein neuer Termin wurde allerdings nicht genannt.

Ankara wehrt sich vehement gegen die Einstufung der Massaker als Völkermord. Im Juni hatte die Völkermordresolution des Bundestages zu einem schweren Zerwürfnis zwischen der Türkei und Deutschland geführt. Mit dem Konzert hätte nun neuer Streit gedroht - zumal die Aufführung durch den Veranstaltungsort im Generalkonsulat einen offiziellen Anstrich bekommen hätte. Die Türkei übt seit Monaten Druck aus gegen das Konzertprojekt "Aghet", das von der EU und vom Auswärtigen Amt finanziell gefördert wird.

cte/dpa

Mein Kommentar:
Das ist Politik. Nicht immer wird sie aktiv, wo es nötig wäre; gegenüber manchen Umständen ist sie machtlos. Bestimmte Ziele werden nicht erreicht oder nur zum Teil und nach längerem Warten. Bei allem kommt es auf Kräfteverhältnisse und Verbündete an. Denkbare Folgen von Maßnahmen und Unterlassungen müssen richtig eingeschätzt werden; Fehler dabei können viel verderben. Nach Bismarck ist Politik eine Kunst, und zwar "die Kunst des Möglichen." Was möglich ist, wechselt mit der Zeit und von Ort zu Ort. Die gegenwärtige Entscheidung bedauere ich, kritisiere sie aber nicht wie einige Oppositionspolitiker, die selber keine Verantwortung tragen.
Mehr über das musikalische Werk "Aghet" hier. Bereits vor sechs Jahren gab es einen deutschen gleichnamigen Dokumentarfilm über den Völkermord an den Armeniern, vgl. u. a. hier (F.A.Z. vom 10.4.2010). Ein aktueller, ausgewogener Zeitungsartikel über die Hintergründe der geplanten Aufführung und ihre Absage findet sich hier.

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